Was hat sie nur angerichtet? Karen Duve schreibt ein Buch über das Essen und macht den entscheidenden Fehler, den Veganismus als einzig ethisch konsequente Lebensweise zu benennen. Das Feuilleton ist gar nicht begeistert und auch zwei große deutsche Zeitschriften sehen sich ungewollt mit diesem Thema konfrontiert.
Dabei fing alles so harmlos an. Jonathan Foers
"Tiere essen" wurde Mitte 2010 ins Deutsche übersetzt und erntete, erwartungsgemäß, fast nur Zustimmung. Denn sein Buch ist ein "Plädoyer gegen die Massentierhaltung", und gegen
"Massentierhaltung" ist schließlich jeder; Kritik bekam er nur für
offensichtliche Fehler. Die Forderung lautet, den "Fleischkonsum" etwas "einzuschränken". Wie viel Einschränkung ist jedem selbst überlassen und nicht mehr 88 Kilo im Jahr, sondern nur noch 87 Kilo zu essen, ist auch eine "Einschränkung".
Anständig Tierprodukte essen?
Und dann das. Karen Duve, genauso ein bisher eher unpolitischer Belletristik-Autor, schreibt
"Anständig essen" und kritisiert dort in ähnlicher Weise das Ernährungsverhalten. Kennen wir schon, denkt das Feuilleton. Doch etwas ist neu: sie kritisiert den Tierproduktkonsum insgesamt und lässt keinen Ausweg über "Bio-Fleisch" oder Vegetarismus, und schlimmer noch: sie zeigt, dass Veganismus nicht nur notwendig, sondern auch noch problemlos möglich ist.
Da war Foer ein angenehmerer Zeitgenosse, hatte er wenigstens den Anstand, Tierprodukte wie Tiermilch oder Eier nicht zu erwähnen. Hätte er doch wie Duve unweigerlich zur Schlussfolgerung kommen müssen, dass es keinen signifikanten ethischen Unterschied zwischen Tierausbeutung für omnivore und vegetarische Tierprodukte gibt. Zudem machte und macht er immer wieder deutlich, dass er rein gar nichts von Konsequenz hält. Nachdem er in Interviews darauf hingewiesen wurde, musste er diesen offensichtlichen Widerspruch eingestehen und befindet sich daher inzwischen "auf dem Weg zum Veganismus". Inzwischen heißt: seit mehr als einem Jahr.
Wer Duves Buch (oder nur ein paar Rezensionen) gelesen hat, weiß, dass sie genau genommen nicht einmal Forderungen aufstellt, sondern nur empfehlende Selbstverpflichtungen, und dass diese auch keinen konsequenten Veganismus beinhalten. Dennoch hat sie mehrmals im Buch, wie auch im letzten Kapitel, das die Selbstverpflichtungen enthält, keinen Zweifel daran gelassen, dass nur Veganismus ethisch konsequent wäre. Alle, die mit Foers und Duves "Dann bin ich eben inkonsequent"-Haltung nicht so glücklich sind, haben nun ein Problem.
Die Welt der Oberideologen
Das Feuilleton reagierte entsprechend ungehalten. Auf den Schlips (in diesem Fall: die Gabel) getreten fühlt sich vor allem die "Welt". Gleich zwei Rezensionen wurden dort ins Feld geschickt, um der Gefahr zu begegnen. Einmal darf sich Eckhard Fuhr austoben, der wohl auch noch nicht richtig verdaut hat, dass der Deutsche Presserat ihm vor sechs Jahren
eine Rüge wegen seiner Antiveganismushetze erteilt hat. Umso kräftiger teilt er nun aus und dafür müssen schon doppelte Superlative her: "Sie bestieg die höchsten Gipfel einer absoluten Moral. Dort oben ist die Luft zum Leben zu dünn beziehungsweise die Suppe zu fad."
Man grübelt, ob Suppen mit steigender Höhe tatsächlich fader werden. Aber wir wollen uns nicht in Details versteigen, denn es geht weiter. Vor allem Achim Stößer, den "Oberideologen der Veganer", kann er ganz und gar nicht leiden.
Stößers lässig hingeschlenzter Blödsinnssatz "Auch Vegetarier sind Mörder" lässt ihr allerdings keine Ruhe. Mit seiner geölten Unbedingtheit scheint der Mann sie zu beeindrucken. Warum nur kann sie nicht so konsequent sein? Dass sie es nicht kann, rettet sie, jedenfalls als Menschen, mit dem man angenehm und angeregt ein paar Stunden verbringen kann.
Ihre Inkonsequenz "rettet sie". Glück gehabt, hätte man doch fast noch eine Person an die bösen Veganer verloren.
Mit denen ist es ein harter Kampf, aber die "Welt" schlägt sich tapfer und Solveig Rathenow darf mit ihrer Rezension noch einmal nachlegen: "Die Aussage des Buches ist simpel: Tiere sind auf einer Stufe mit Menschen." Da ist es wieder, das Totschlagargument: eine Stufe! Himmel hilf! Wer das steigern will schreibt übrigens von der "gleichen" Stufe, auf die "Mensch und Tier" gestellt würden. Das macht die Sache noch etwas dramatischer. Schließlich ist doch keine Stufe breit genug für alle. Daher müssen die anderen Tiere wohl doch auf den unteren Stufen bleiben, schließlich wollte niemand behaupten, die Menschen hätten sich dorthin hinabzubegeben. – Aber liebe "Welt", so schlimm ist es gar nicht. Von der "gleichen Stufe" hat doch niemand gesprochen. Die Gleichberechtigung in den Grundrechten schließt die Ungleichberechtigung in den weiterführenden Rechten nicht aus. Aber da ich einsehe, dass diese Differenzierung das schöne "Gleiche Stufe!"-Argument kaputt machen würde, bin ich nachsichtig.
Dass Duve zu weit geht, ist auch Rathenow klar. "Das eigene Pferd aus ethischen Gründen nicht zu reiten, würden viele eher als Tierquälerei denn als Befreiung des Tieres ansehen." Nunja, "viele" haben auch die Befreiung der Sklaven über die Jahrhunderte hinweg immer wieder damit kritisiert, diese würden von der neuen Freiheit überfordert. Mancher mag daher heute wissen, dass das, was "viele" denken, nicht unbedingt das Richtige ist.
Ein Trostpflaster wird den "Welt"-Lesern am Schluss der Rezension geboten.
Wo sie das nächste Taxi finden würde? Etwas überrascht, verweist man auf die S-Bahn, die direkt an den gewünschten Ort bringen würde. Ja, aber sie habe es eilig. Auf das Buch über umweltfreundliche Transportmittel scheint man noch warten zu müssen.
Und wieder Glück gehabt, doch noch einen moralischen Makel gefunden (und breitgetreten). Es wäre auch unerträglich gewesen, würde man nicht irgendeinen Vorwand haben, um Duves ethische Ratschläge zurückweisen zu können. Konsequenz ist tödlich für das träge Gehirn, müsste man doch feststellen, dass einen selbst nichts daran hindert, sich so zu verhalten.
Die Logik der Veganer
Nicht auf Duves Buch direkt, auch wenn es mehrfach erwähnt wird, beziehen sich die Artikel über Vegetarismus im "Spiegel" (Nr. 3/2011) und im "Stern" (Nr. 4/2011). Im letzteren ist es das Titelthema der Ausgabe. Das gemeinsame Problem, das die Magazine haben, ist nun, dass man keine längeren Artikel über Vegetarismus als ethische Entscheidung mehr schreiben kann, ohne den Veganismus irgendwie zu erwähnen. Er ist im öffentlichen Bewusstsein und der Journalist gezwungen, Stellung zu beziehen.
Auf welcher Seite Stellung bezogen wird, ist nun keine ernsthafte Frage. Der "Spiegel" setzt sich folgendermaßen mit den Menschen auseinander, die die Ethik zuende denken.
Veganer sind die Konsequentesten der Bewegung. Manche von ihnen nehmen es sich allerdings heraus, Ovo-Veggies als "Massenmörder" zu beschimpfen – weil die Eier essen. Die Anklage der Veganer: Wer Eier verzehrt, unterstützt die tierfeindliche Hühnerproduktion. Denn nach dem Schlüpfen werden nahezu alle männlichen Legerassenküken zu Tiermehl geschreddert. Kauft niemand mehr Hühner oder Eier, so die Logik der Veganer, bricht der Markt zusammen.
Damit ist der Absatz beendet, wer hier also noch irgendwelche Erläuterungen sucht, wieso diese "Logik der Veganer" falsch ist (oder wenigsten nichts umsetzbar), wird nicht fündig. Argumentation wird ersetzt durch viele böse Worte. So sind Veganer die, die andere "beschimpfen" (auch noch die armen "Veggies") und "anklagen" und wollen, dass "der Markt" "zusammenbricht". Viel Deutlichkeit von dieser Perspektive, von der anderen nicht, wird doch gekonnt verschwiegen, dass die männlichen Küken vor der Verarbeitung zu Tiermehl vermuster oder vergast werden. Denn gerade beim zweiten Wort würden sich unangenehme Assoziationen bei den Eieressen einstellen und das muss vermieden werden.
Nützliche Idioten, die sekundieren, sind schnell gefunden. Auf die Aussage im Interview des gleichen Artikels:
Manche von Ihnen [sic, gemeint sind: Veganer] sagen: Vegetarier sind Mörder, wenn sie zum Beispiel Eier essen – weil in den Zuchtbetrieben für Legehennen alle männlichen Küken vergast oder lebend geschreddert und zu Tierfutter verarbeitet werden.
antwortet der
Vegetarier Helmut Kaplan:
Ich halte die moralische Verurteilung des Vegetarismus für kontraproduktiv. Damit macht man kaum jemanden zum Veganer, verhindert aber viele Vegetarier.
Die vegane Gesellschaft solle natürlich "das Ziel" sein, so Kaplan weiter. Bei dieser Methode jedoch ein sehr fernes Ziel und die unveganen Leser können wieder beruhigt sein.
Kein Leder und kein Eisen
Auch im "Stern", dort wohlgemerkt das Titelthema, wird die hier nicht einseitige, aber fehlerhafte Berichterstattung vorgezogen.
Veganern, die Puristen unter den Vegetariern, essen ausschließlich Pflanzen. Sie trinken und tragen auch nichts, was vom Tier stammt. Nicht einmal Lederschuhe.
Nun, wer "nicht einmal Lederschuhe" trägt, muss wirklich spinnen. Da es der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass es keine Schuhe gibt, die nicht aus Leder gemacht sind, laufen Veganer, diese "Puristen", folglich ganzjährig barfuß herum. Wie gesagt: Spinner.
Das sind sie erst recht, da "wichtige Nährstoffe [fehlen]", wie der "Stern" weiter zu berichten weiß, und zwar Eisen und Vitamin B12. Nunja, nicht ganz: Eisen fehlt Vegetariern, da Tiermilchprodukte die Eisenresorption stören, aber nicht Veganern, die bekanntermaßen keine Tiermilch konsumieren. Aber gut, immerhin beim B12 ist die Aussage nicht völlig falsch. Richtig wäre jedoch: in Pflanzen kommt kein B12 vor. Das heißt aber nicht, dass es in veganen Nahrungsmitteln (die nicht pflanzlich sein müssen) nicht enthalten wäre (dort ist es oft zugesetzt) und erst recht nicht, dass es Veganern fehle. Abstrus wird es kurz darauf: "Und Kompensation [des "B12-Mangels"] verbietet er sich." Dieser "er" ist "der Veganer", denn Veganer, so wird Leitzmann zitert, sind "oft so stur [..], dass sie aus ideologischen Gründen keine Nahrungsergänzungsmittel anrühren".
Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich. Zum einen: welche "ideologischen" Gründe sollen das sein? B12 wird von Mikroorganismen gebildet, ist also kein Tierprodukt. Zum anderen: B12-Supplementation wird
von jeder seriösen Internetseite über Veganismus nahegelegt, sodass man sich fragen muss, wie lange der "Stern"-Autor und Leitzmann im Internet gewühlt haben müssen, um Seiten oder Veganer (Veganer, nicht Rohköstler oder Makrobioten) zu finden, die das nicht tun. Wahrscheinlich gar nicht, das wäre ja Recherche gewesen und damit ein unverhältnismäßiger Aufwand, wo man das Thema Veganismus doch nur schnell abhandeln will, um es wieder vom Tisch zu haben.
Kein Zweifel
Die Medienlandschaft kann einem leid tun. Während sie sich gerade mit dem Vegetarismus ein wenig angefreundet hatte, muss sie schon hören, dass das nicht reicht. Duves Buch hat zu dieser Erkenntnis sicherlich beigetragen und das Wissen um das ethisch Bessere lässt sich jetzt nicht mehr verdrängen, selbst wenn die Autorin dies nicht konkret fordert. Um trotzdem weiterzuleben wie bisher, müssten Gegenargumente gefunden werden und die sind rar,
gute Gegenargumente bereits nicht mehr existent. Das ist die Angst vor der Konsequenz, denn ohne stichhaltige Gegenargumente, müsste man sie umsetzen.
Oder wie Duve es formulierte:
Es genügt allein, dass sie [die Veganer] existieren. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass eine anständige und gewaltfreie Lebensweise möglich und so schwer dann nun auch wieder nicht ist, und das macht mir meine eigene Charakterlosigkeit schmerzlich bewusst. Daran, dass sie vegane Lebensweise die einzig ethisch konsequente Haltung ist, daran habe ich inzwischen keinen Zweifel mehr.
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Nachweise
Foer seit einem Jahr auf dem Weg zum Veganer: Johanna Adorján: Schluss mit Schnitzeljagd, in: F.A.Z., http://www.faz.net/s/RubD3A1C56FC2F14794AA21336F72054101/Doc~E01E351B83DE24A6788C49C95E5688246~ATpl~Ecommon~Scontent.html [30.12.2010].
Erste "Welt"-Rezension: Eckhard Fuhr: Moralischer Hausputz, in: Die Welt, http://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article11911621/Moralischer-Hausputz.html [31.12.2010].
Zweite "Welt"-Rezension: Solveig Rathenow: Fleisch oder nicht Fleisch, in: Die Welt, http://www.welt.de/print/welt_kompakt/kultur/article11911215/Fleisch-oder-nicht-Fleisch.html [31.12.2010].
"Spiegel"-Artikel: Carten Holm: Eine Welt ohne Wurst, in: Der Spiegel, 3/2011, 40-47.
"Stern"-Artikel: Nicolas Büchse, Kuno Kruse: Sind Vegetarier die besseren Menschen?, in: Stern, 4/2011, 68-82.
Zitat aus "Anständig Essen": Karen Duve: Anständig Essen. Ein Selbstversuch, Berlin 2011, S. 182.