Die Stellungnahme der DGE zu veganer Kinderernährung
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Die ÖGE und ihre deutsche Schwesterngesellschaft [die DGE] halten eine rein vegane Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindes- und Jugendalter hingegen für nicht geeignet, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen. Eine ausreichende Nährstoffversorgung in der Schwangerschaft sei bei einer rein veganen Ernährung auch bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl nicht möglich.
(Der Standard, 26.04.2012)
[Frage:] Wer sollte sich auf keinen Fall vegan ernähren? [Antwort:] Kinder. Sie brauchen eine ausgewogene Ernährung, um gesund aufzuwachsen. Die Zellmasse muss bei Kleinkindern erst aufgebaut werden, dafür sind tierische Stoffe notwendig.
(Frankfurter Rundschau, 04.05.2012)
Von veganer Kost, bei der auf tierische Produkte wie Eier und Milchprodukte verzichtet wird, rät [Antje] Gahl [von der DGE] hingegen ab: „Bei veganer Ernährung besteht für Kinder die Gefahr einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen.“ Vegetarisch ja, vegan nein: So sieht es auch die Ernährungswissenschaftlerin Alexandra Borchard-Becker von der Verbraucher Initiative.
(Volksstimme, 18.04.2012)
Patienten mit erhöhtem Nährstoffbedarf, Säuglingen und Kleinkindern, Heranwachsenden, Senioren, Schwangeren und Stillenden ist von einer rein pflanzlichen Kost abzuraten.
(UGB-Forum Spezial 2007, 11)
Entscheiden Eltern oder Kinder sich für eine ausgewogene und abwechslungsreiche ovo-lacto-vegetarische Ernährung – ohne Fleisch und Fisch, aber mit Eiern und Milchprodukten – so kann diese als Dauerkost empfohlen werden. Ernähren sich Kinder und Jugendliche rein pflanzlich, in dem sie komplett auf tierische Lebensmittel – bis hin zu Honig – verzichten, werden sie als Veganer bezeichnet. Eine vegane Ernährung hält die DGE im gesamten Kindesalter für ungeeignet.
(DGE-Pressemitteilung, 2011)
Vegane Kinderernährung ist nicht möglich. Darin sind sich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und als Vertreterin der Ernährungswissenschaft wie auch esoterische Ernährungsexperten wie Raya Gericke (im obigen Zitat der Frankfurter Rundschau), die eine „Ausbildung in chinesischer Diagnose und Ernährungslehre absolviert“ (Keilbach 2012) hat, einig. Den noch glaubhaftesten Nachweis dafür hat die DGE erarbeitet, wie in einer Pressemitteilung des letzten Jahres verbreitet wurde (daraus das letzte obige Zitat). In dieser „ausführliche[n] Fachinformation“ (DGE-Pressemitteilung 2011) mit dem Titel „Vegane Ernährung: Nährstoffversorgung und Gesundheitsrisiken im Säuglings- und Kindesalter“ 1 und ihren insgesamt 54 wissenschaftlichen Quellen sollen diese Behauptungen nachgewiesen werden. Dieser Text (im Folgenden: das DGE-Positionspapier) besteht aus einer Einleitung sowie einem Fazit und diskutiert im Hauptteil (neben einem kurzen allgemeinen Abschnitt) die Nährstoffe: Energie/Protein, Eisen, Calcium, Jod, Zink, Vitamin B12, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. In dieser kritischen Auseinandersetzung überprüfe ich, welche Behauptungen richtig und vor allem fundiert sind, und welche nicht.
Was ist vegane Ernährung?
Das Kernproblem des DGE-Positionspapiers ist so trivial wie folgenreich: Die DGE weiß nicht, was vegane Ernährung ist. Ich lasse beiseite, dass mehrmals von „rein pflanzlicher“ Ernährung die Rede ist (u.a. im ersten Satz) und es keine Ernährungsform gibt, die auf anorganische (und damit nicht-pflanzliche) Stoffe wie Wasser oder Mineralien wie Salz verzichten kann. Viel wesentlich ist, dass viele Quellen, auf die sich das DGE-Positionspapiers stützt – das, zur Erinnerung, unter dem Titel „ Vegane Ernährung“ steht –, keine Veganer zum Untersuchungsgegenstand haben.
Die größte Gruppe davon bilden die Untersuchungen, die sich (ausdrücklich) mit der makrobiotischen statt veganer Ernährung befassen, wie meist schon aus dem Titel oder spätestens aus dem Abstract ersichtlich ist: Dagnelie et al. 1989, Dagnelie et al. 1990, Dagnelie/Staveren 1994, Dagnelie et al. 1994, Parsons et al. 1997, Dusseldorp et al. 1996, Dwyer et al. 1979, Dwyer et al. 1982, Dagnelie et al. 1991 und Specker et al. 1990. Die DGE schreibt, dass Makrobiotik eine Ausprägung unter der „Vielzahl von Ausprägungen der veganen Ernährung“ sei. Sie sieht sich jedoch genötigt, anschließend zu ergänzen: „je nach Ausgestaltung des makriobiotischen Prinzips“ kann die Ernährung „in begrenztem Maße Fisch [enthalten] (womit die Ernährungsweise im eigentlichen Sinne nicht mehr vegan ist)“. 2 Makrobiotik ist also eine nicht-vegane Ausprägung der veganen Ernährung. Vom Falschen zum Widersprüchlichen.
Doch die DGE lässt sich davon nicht irritieren. Weitere vier Ernährungsformen, die in den verwendeten Quellen behandelt werden und die das DGE-Positionspapier durch seine Verwendung der „veganen Ernährung“ unterordnet, sind:
1) Die Ernährungslehre „I-Tal“ der Rastafarier-Religion; betrifft die Quelle James et al. 1985. Diese Ernährungslehre enthält unter anderem den Konsum von Fischen (wenn sie eine religiös vorgeschriebene Länge nicht überschreiten). Ich zitiere zum Vergleich den Duden: Veganismus ist die „ethisch motivierte Ablehnung jeglicher Nutzung von […] tierischen Produkten“. Das Fleisch von Fischen ist ein Tierprodukt; eine religiöse Ernährungsform ist religiös motiviert, nicht ethisch.
2) Die Ernährungsweise der Religion der Schwarzen Hebräer; betrifft Zmora et al. 1979 und Shinwell/Gorodischer 1982. Die Schwarzen Hebräer sind eine jüdische Sekte, die ihre Ernährung nach ihrer Interpretation der Bibel ausrichtet. Ich zitiere den Duden: Veganismus ist die „ethisch motivierte Ablehnung jeglicher Nutzung von […] tierischen Produkten“. Eine religiöse Ernährungsform ist religiös motiviert, nicht ethisch.
3) Alles Mögliche, nur keine vegane Ernährung; betrifft Jacobs und Dwyer 1988, Dwyer et al. 1983, Sanders/Reddy 1994, Acosta 1988, Kirby/Danner 2009 und Krull/Ohlendorf 1993. Bei Jacobs/Dwyer 1988 werden neben echten Veganern unter „vegan-artige Ernährungsformen“ u.a. auch Makrobiotiker, Rastafarier, Schwarze Hebräer und Frutarier subsumiert. In ihren Tabellen geben sie drei Fälle eines Nährstoffmangels (zweimal Vitamin D, einmal Eisen) bei „veganen“ Kindern an. Die Überprüfung zeigt: Beim einen Fall für Vitamin-D-Mangel kommentieren Jacobs/Dwyer selbst, dass es wahrscheinlich Rastafarier sind (ebd., 815); beim zweiten Fall kann man bereits im Abstract der betreffenden Studie (das ist: Hellebostad et al. 1985) lesen, dass es sich um vegetarische Kinder handelt, da sie u.a. mit Kuhmilch ernährt wurden; und in Bezug auf Eisenmangel geben Jacobs/Dwyer mit Verweis auf eine andere Studie an, er sei bei „einem von vier“ veganen Kindern möglich (ebd., 814), geht man dieser Studie nach (d.i. Roberts et al. 1979), stellt sich heraus, dass dieser eine von vier Fällen ein ausschließlich mit eingeschränkter Rohkost ernährtes Kind betraf (die anderen drei Fälle sind übrigens Makrobiotiker). Eingeschränkte Rohkost kann Tierprodukte ausschließen, wird damit jedoch nicht zu einer veganen Ernährung. – Dwyer et al. 1983 vergleicht Makrobiotiker mit Vegetariern und Omnivoren. Was man daraus für Veganer, die nicht explizit vorkommen, schließen soll, bleibt rätselhaft. Man könnte vermuten, dass ein Teil der hier als Vegetarier Bezeichneten Veganer sind, aber ohne Abgrenzung nützt diese Information wenig. – Sanders/Reddy 1994 diskutieren Untersuchungen von u.a. (vegetarischen, nicht veganen) Hindus, sowie Makrobiotikern und Siebten-Tags-Adventisten. Dass auch eindeutig vegane Kinder unter den untersuchten Personen (bei den als Vegetarier Bezeichneten) gewesen wären, lässt sich nicht ausmachen. – Acosta 1988 stützt sich ebenfalls tlw. auf Quellen, die von Makrobiotikern und Anthroposophen handeln. Ob manche der Untersuchungen tatsächliche Veganer behandeln, lässt sich nicht ausmachen. Da Acosta jedoch u.a. die Auswirkung von Honig auf die Aufnahme von Aminosäuren diskutiert, scheint das unwahrscheinlich. – Kirby/Danner 2009 (an einer Stelle im DGE-Positionspapier steht fehlerhaft „Kirby und Danner 2010“) ist auch nur ein theoretischer Text, der Schlussfolgerungen aus zitierten Untersuchungen zieht. Für das kurze Stück, in dem Veganismus bei der Besprechung von Vegetarismus gelegentlich erwähnt wird (ebd., 1092–1094), sind das: Sanders/Reddy 1994 (s.o.); eine Quelle von 1980, bei der in Titel oder Abstract kein Bezug zu Veganismus besteht; einem Fall eines B12-Mangels bei einem gestillten Säugling einer „veganen“ Mutter (Weiss et al. 2004), die in den letzten Jahren „fast“ (ebd., 270) keine Tierprodukte konsumierte habe, sprich: nicht vegan war; sowie allgemeinen Quellen. Im DGE-Positionspapier wird also eine Quelle zur Unzulänglichkeit der veganen Ernährung herangezogen, die sich selbst auf keine einzige Untersuchung, die mit veganen Probanden durchgeführt wurde, stützen kann. Das ist nur einer von vielen Fällen der Vererbung (und nebenbei Verwischung) von fehlerhaften Methoden. – Krull/Ohlendorf 1993 geben einen Fallbericht von zwei Kleinkindern, die aufgrund von Neurodermitis mit einer „vegetarischen Diät“ ernährt wurden. Die Beschreibung lässt zwar die Möglichkeit zu, dass hier tatsächlich alle tierlichen Produkte vermieden wurden, jedoch sind die Werte von mehreren Nährstoffen der Blutuntersuchung untypisch für eine vegane Ernährung (ebd., 482). (Dass diese Befunde außerdem mit mehreren anderen Aussagen des DGE-Positionspapiers im Widerspruch stehen, wurde von den Autoren der DGE wohl übersehen.)
4) Und schließlich omnivore oder vegetarische Ernährung. Quellen, deren untersuchte Personen wegen des Konsums von Tierprodukt durch Kind und/oder Eltern nicht vegan waren; betrifft Massa et al. 2001, Kanaka et al. 1992, Wagnon et al. 2005 und Schlapbach et al. 2007. Bei Massa et al. 2001 waren sowohl Kind, als auch Eltern nicht vegan. Der Reis-Milch (die dem Kind auf Empfehlung eines Homöopathen (!) gegeben wurde) wurde eine Ergänzung auf Kuhmilchbasis beigemengt. – Bei Kanaka et al. 1992 hat die Mutter dem Kind erst Pränahrung auf Kuhmilchbasis gegeben und dann eine Mischung aus Wasser und Mandelmilch (nicht etwa vegane Pränahrung auf Sojabasis, wie Veganer das tun würden). – Bei Wagnon et al. 2005 haben die Probanden laut Bericht einmal pro Woche eine Mahlzeit gegessen, die „Ei oder Fisch“ (ebd., 610) enthielt. Ich zitiere erneut den Duden: Veganismus ist die „ethisch motivierte Ablehnung jeglicher Nutzung von […] tierischen Produkten“. Kuhmilch, Eier und Fische sind ein Tierprodukte. – Bei Schlapbach et al. 2007 ernährte sich die Mutter „weitgehend [!] veganisch [sic]“ (ebd., 1309), konsumierte also ebenfalls irgendwelche nicht-veganen Produkte.
Was ist vegane Ernährung nicht?
Die Autoren der DGE und alle anderen Ernährungswissenschaftler, die diese Methoden praktizieren, würden bei zumindest einigen Fällen dagegenhalten, der Grund für die Vermeidung von Tierprodukten (ob religiös motiviert oder ethisch) bzw. der Tierproduktkonsum in geringfügigen Ausmaßen mache aus ernährungsphysiologischer Sicht keinen bedeutenden Unterschied. Daher seien auch diese Quellen für Rückschlüsse auf vegane Ernährung zulässig.
Das ist aus zwei Gründen fragwürdig. Zum einen sollen gerade Ernährungswissenschaftler wissen, wie schwer sich einzelne Faktoren der Ernährung isolieren lassen. Bei all den oben genannten Fällen ist Menge und Zusammensetzung der nicht-veganen Anteile an der Ernährung meist gänzlich unklar. Welche Beobachtungen dann auf welche Faktoren der veganen und auf welche der unveganen Anteile zurückgehen, bleibt meist nur Spekulation.
Zum anderen weisen diese nicht-veganen Ernährungsformen und Ernährungslehren, die auch gerne unter „alternative Ernährungsformen“ oder „neuer Vegetarismus“ zusammengefasst werden, deutliche Unterschiede in der Lebensmittelauswahl und dem Umgang mit Erkrankungen und Risikofaktoren auf. 3 So lehnt die am häufigsten zitierte Makrobiotik tlw. außerdem Kartoffeln, Tomaten, importierte Obst- und Gemüsesorten, Früchte und Zucker ab (Grüttner 1991, 450; Kirby/Danner 2009, 1094) und den auch gerne zu Veganern erklärten Rohköstlern fehlen für die Eiweißversorgung wichtige Hülsenfrüchte um nur zwei Beispiele zu nennen. Durch solche aus Sicht der veganen Ernährung unnötigen Einschränkungen von wichtigen pflanzlichen Nahrungsmitteln kommt es viel eher als bei tatsächlichem Veganismus zu den kritisieren Engpässen bei der Versorgung mit einzelnen Nährstoffen. So haben die Schwarzen Hebräer Säuglinge, wenn sie nicht gestillt wurden bzw. danach, mit „Sojamilch“ ernährt. Nicht etwa veganer Pränahrung auf Sojabasis, sondern tatsächlich einer Mischung aus Sojamehl und Zucker (Shinwell/Gorodischer 1982, 582; sehr ähnlich Zmora et al. 1979, 141). Wie die Ernährung mit Mandelmilch bei Kanaka et al. 1992 muss das selbstverständlich diverse Nährstoffmangel nach sich ziehen. Nur würde kein (tatsächlicher) Veganer auf solch eine absurde Idee kommen, sondern auf die verfügbaren veganen Pränahrungen nutzen.
Genauso weitreichend ist die häufige Ablehnung der Einnahme von Supplementen, die „chemisch“ und daher „unnatürlich“ sind, sowie die Ablehnung medizinischer Betreuung (beispielsweise Zmora et al. 1979, 143; oder Wagnon et al. 2005, 611; oder Grüttner 1991, 450). Wenn man bei Vermeidung von Tierprodukten Vitamin-B12-Supplemente ablehnt (wie die Schwarzen Hebräer in Zmora et al. 1979, 141), kommt es selbstverständlich zu einem Mangel, während Veganer keinerlei Probleme damit haben auf Supplemente zurückzugreifen.
Ich sehe mich genötigt, das Offensichtliche festzuhalten: nur vegane Ernährung ist vegan. Wäre das DGE-Positionspapier unter einem Titel wie „Ernährungsformen mit teilweisem oder gänzlichem Abschluss von tierlichen Produkten“ erschienen und wären darin die einzelnen Ernährungsformen einzeln behandelt worden, wäre es nur noch irreführend gewesen. In der vorliegenden Form ist es verfälschend.
Was übrig bleibt
Ich komme zurück zur Frage, was diese Quellenlage für die wissenschaftliche Qualität des DGE-Positionspapiers bedeutet. Wenn man von den 54 Quellenangaben die abzieht, die allgemeine Aussagen machen (z.B. Vitaminlexika, Empfehlungen zu Tagesdosen, allgemeine Untersuchungen von Nährstoffverhalten), sowie die, die Zusammenfassungen ohne Bezug auf Studien von Veganern bieten, 4 und die zusammenzählt, die konkrete Ernährungsweisen untersuchen, bleiben von 54 Quellen noch 40 übrig. Davon beträgt die Anzahl der Quellen, die nach obigen Feststellungen nicht für die Bewertung von veganer Ernährung herangezogen werden können, 23 (alle im ersten Abschnitt genannten). Das heißt mehr als 57 % der Studien betreffen keine Veganer (die tatsächliche Anzahl dürfte noch höher liegen). Wäre die zu untersuchende Probe eines Chemikers zu 57 % mit Urin verunreinigt, erhielte er nicht nur falsche Ergebnisse, er würde sich wissenschaftlich auf Äußerste blamieren. In der Ernährungswissenschaft scheint das gleiche Vorgehen kaum Bedenken zu bereiten.
Zwar wird im Positionspapier an ein paar Stellen explizit von „makrobiotischen“ bzw. „makrobiotisch ernährten“ Kindern gesprochen. Aber dies geschieht zum einen nicht an allen Stellen, an denen Quellen benutzt werden, die Makrobiotiker statt Veganer behandeln, und zum anderen fehlt eine solche Differenzierung bei den anderen Quellen, deren untersuchte Probanden ebenfalls nicht-veganer Ernährungsformen folgen. Und zur Wiederholung: Das alles läuft unter der Überschrift „Vegane Ernährung“. Nicht etwa „Vegane Ernährung zum Großteil bewertet anhand von Nicht-Veganern“.
Dazu kommt die Problematik der Aktualität der Quellen, die im DGE-Positionspapier benutzt werden. Im Positionspapier der ADA, das der DGE vorlag und das auch hier zitiert wurde, wird ausdrücklich auf die Problematik alter Untersuchungen hingewiesen (ADA 2009, 1267). Anhand dieser ließen sich nur sehr bedingt Aussagen über heutige Verhältnisse treffen. In den letzten 23 Jahren hat sich einiges an der veganen Ernährung verbessert. Z.B. was die Proteinzufuhr durch wesentlich bessere Verfügbarkeit von Soja- und Seitanprodukten betrifft, als auch die Verringerung von hemmenden Inhaltsstoffen (bspw. Phytaten) durch bessere Produktverarbeitung. Bei der ADA stammen von insgesamt 204 Quellen stammen nur zwei aus den 1970er Jahren (beide allgemein, keine bestimmte Ernährungsform betreffend) und elf aus den 1980er Jahren (wovon fünf allgemein sind und keine bestimmte Ernährungsform betreffen). Bei der DGE stammen von insgesamt 54 Quellen zwei aus den 1970er, acht aus den 1980er Jahren. Während bei der ADA also nur 6,3 % der Quellen aus der Zeit vor 1990 stammen, sind es bei der DGE mit 18,5 % fast drei Mal so viele.
Ein weiterer Punkt: es fehlen deutliche Hinweise auf positive gesundheitliche Auswirkungen veganer Ernährung. Da Veganismus ethisch motiviert ist, ist das für Veganer selbst zwar kein Kriterium. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht jedoch gehören der Vollständigkeit halber zumindest Lippenbekenntnisse über die gesundheitlichen Vorteile zu einer Bewertung. Zu diesen Vorteilen gehören beispielsweise die geringeren Risiken, an weit verbreiteten Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, ischämischen Herzkrankheiten, Prostata-, Dickdarm-, Magen-, Blasen- und Ovarialkrebs zu erkranken. Oder die bessere Versorgung mit Nährstoffen, mit denen die meisten sich „normal“ ernährenden Menschen weniger gut versorgt sind, wie Folsäure, Magnesium, Kalium, Vitamin C, Vitamin E, Folsäure, Karotinoide und sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide oder Polyphenole; bzw. die geringere Aufnahme von negativ bewerteten Nährstoffen wie Cholesterin oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren (ADA 2009, Keller 2012). All dies gilt natürlich auch für Kinder und wäre zumindest in einem Halbsatz erwähnenswert. Nicht so bei der DGE. Sie betitelt ihren Text mit „Vegane Ernährung: Nährstoffversorgung und Gesundheitsrisiken im Säuglings- und Kindesalter“ und fährt nach der Einleitung fort mit: „Potenziell kritische Nährstoffe und Gesundheitsrisiken bei veganer Ernährung“. Andererseits verwundert das in einem Fall, bei dem es so eklatant an wissenschaftlicher Objektivität und Redlichkeit mangelt, auch nicht mehr.
Es verwundert auch nicht mehr, wenn hinter sechs Quellenangaben der DGE steht in Klammern: „Abstract“. Eine Quelle überhaupt vollständig zu lesen, scheint schon nicht mehr notwendig.
Vorteile zu verschweigen, veraltete Quellen zu benutzen und vor allem alle möglichen Ernährungslehren als Veganismus zu deklarieren, sind keine neuen Methoden bei Versuchen, Veganismus im Misskredit zu bringen. Bereits vor achtzehn Jahren hat Gary Varner auf solches Vorgehen vieler ernährungswissenschaftlicher Aufsätze (hier: im anglo-amerikanischen Raum) hingewiesen (Varner 1994) 5. Geändert hat sich die Situation bis heute, wie man sieht, nicht bei allen.
Kritik der einzelnen Nährstoffe
Mehr als die Hälfte der genannten Quellen betreffen keine Veganer und es ist daher unzulässig, sich bei der Bewertung veganer Ernährung auf sie zu stützen. Trotzdem bleibt noch knapp die Hälfte übrig. Entsprechend der Abfolge im DGE-Positionspapier sollen nun die dortigen Aussagen anhand der übrig bleibenden Quellen überprüft werden.
Allgemein
Im ersten Abschnitt („Allgemein“) wird eine Reihe von potenziell kritischen Nährstoffen aufgezählt. Die Quellen, die nach dem Ausschluss übrig bleiben, sagen auch nicht mehr als das: ein Mangel ist potenziell möglich. Das ist er bei fast allen Nährstoffen bei allen Ernährungsformen. Daraus kann man nicht viel mehr ableiten, als dass darauf zu achten ist und ggf. zu kontrollieren. Für die Unmöglichkeit gesunder veganer Kinderernährung spricht das nicht.
Energie und Protein
Sortiert man im Abschnitt „Energie und Protein“ wieder die nicht zutreffenden Quellen aus, bleiben immerhin drei Quellen übrig.
Die erste ist BfR 2007, laut der „[n]icht oder nicht voll gestillte Säuglinge [..] Sojaerzeugnisse nur in begründeten Ausnahmefällen und nach ärztlicher Empfehlung regelmäßig bekommen [sollten]“. Was die DGE nicht sagt, ist weshalb das BfR zu dieser Schlussfolgerung gelangt. Die Aussagen sind gerade hinsichtlich der Bewertung von Sojanahrung nicht uninteressant: Zuerst heißt es, die Ablehnung von Säuglingsnahrung auf Sojabasis wegen des Isoflavon-Gehalts stütze sich nur auf Tierversuchsergebnisse und In-vitro-Untersuchungen über Isoflavone, sodass diese Ergebnisse kaum übertragbar sind, da die Versuchstiere einen anderen Isoflavon-Stoffwechsel aufweisen als Menschen (BfR 2007, 3). Weiterhin wird gesagt, trotz höherer Isoflavon-Spiegel wurden keine negativen Auswirkungen bei Säuglingen und älteren Probanden festgestellt (ebd., 2, 3, 4); es liegen keine langfristigen Studien zur Auswirkung von Sojasäuglingsnahrung vor (ebd., 2; allerdings ist in den USA Sojasäuglingsnahrung seit über 40 Jahren in Gebrauch und das ohne bekannte negative Folgen); alle Studien, die negative Auswirkungen zu erkennen glaubten, sind veraltete und weisen mangelhafte Studiendesigns auf und/oder konnten keinen statistischen Zusammenhang aufzeigen, sondern nur Vermutungen anstellten (ebd., 2, 3, 4 bzw. ebd., 2, 4). Als Gründe sich gegen Sojasäuglingsnahrung auszusprechen bleibt beim BfR letztlich eine als nicht optimal bewertete Nährstoffzusammensetzung übrig (ebd., 5), betreffend, dass etwas mehr Eiweiß enthalten sein könnte und etwas weniger Phytate. Dieses Bedenken sollten in modernen Sojasäuglingsnahrungen jedoch inzwischen angepasst sein. Ein Blick auf die Nährstoffzusammensetzung kann Klarheit schaffen und die Nahrung des Säuglings ggf. entsprechend angepasst werden. Einen Grund gegen vegane Kinderernährung bietet das nicht, eher einen Hinweis für Hersteller.
Zu ergänzen ist eine neuere Studie, die einmal überprüft hat, ob es tatsächlich klinisch nachgewiesene Fälle gibt, bei denen sich negative Auswirkungen durch Sojasäuglingsnahrung bei Menschen nachweisen lassen (Vandenplas et al. 2011). Die Antwort ist: Es gibt keinen einzigen. Sojasäuglingsnahrung ist für Veganer daher nach wie vor eine unbedenkliche Möglichkeit, wenn das Stillen nicht möglich sein sollte.
Die zweite Quelle der DGE ist eine positive (Young und Pellett 1994) mit der Aussage, durch pflanzliche Nahrungsmittel könnten alle notwendigen Aminosäuren gedenkt werden.
Die dritte Quelle ist Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al. 1997. Sie soll als Beleg dafür herhalten, dass „der Bedarf an unentbehrlichen Aminosäuren in Phasen hohen Bedarfs wie dem Wachstum nicht ausschließlich durch pflanzliches Protein gedeckt werden“ kann, sondern tierliches erfordert. Sehr überzeugend ist diese Aussage jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass es (worauf auch im DGE-Positionspapier hingewiesen wird) Gegenmeinungen gibt (eben Young und Pellett 1994); dass sich Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al. für diese Behauptung zweimal selbst zitieren müssen und ihre dritte Quelle 25 Jahre alt ist (ebd., 313; zum Problem alter Studien s.o.); und dass durchaus einige seit Geburt vegan ernährte Kinder in fortgeschrittenem Alter existieren, die sich offenkundig normal entwickelt haben.
Bemerkenswert an diesem Abschnitt ist auch, was nicht darin steht. Zum Beispiel wurde die Quelle Abdulla et al. 1981 im Abschnitt zu Jod benutzt. Allerdings wird bei Abdulla et al. auch die für diesen Abschnitt relevant Aussage getroffen, dass die Aufnahme von essentiellen Aminosäuren aller Probanden dieser Studie die Empfehlungen überschritt. Ebenso wenig wurde die Studie Sanders 1988 herangezogen, was auffällig ist, da von Sanders zwei andere Studien zu den Quellen gehören und diese nicht weniger relevant ist. Sanders schlussfolgerte bereits 1988 hinsichtlich des Wachstums, dass „entsprechende Sorgfältigkeit [care] vorausgesetzt, vegane Ernährung normales Wachstum und normale Entwicklung gewährleisten kann“. Oder die ebenfalls recht alte Untersuchung (O’Connell et al. 1989), die zum Schluss kommt, vegan ernährte Kinder hätten ein geringfügig weniger umfangreiches, aber normales Wachstum. Dass Studien von den Autoren der DGE selektiv ausgewertet wurden bzw. selektiv recherchiert worden sei, will ich damit natürlich nicht behaupten.
Eisen
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen, bleiben übrig: null. Nun ja. Was die DGE ansonsten schreibt, ist trotzdem der Mitteilung wert: „Ob sich der Eisenstatus von vegan bzw. vegetarisch ernährten Kleinkindern mit einer abwechslungsreichen Lebensmittelauswahl und dem Verzehr von Vollkornbrot als Grundlebensmittel sowie von Vitamin C-reichem Obst und Gemüse von dem von omnivor ernährten Kleinkindern unterscheidet, ist aufgrund der unzureichenden Datenlage unklar.“ Neben dem Hinweis, eisenhaltige Nahrung mit Vitamin-C-haltiger Nahrung zu kombinieren, gelten vielmehr allgemeine Empfehlungen zur Vermeidung eines Eisenmangels für Säuglinge (Aggett et al. 2002), die natürlich auch vegane Kinder betreffen: ausschließliches Stillen bis zum 6. Monat bzw. Verwendung eisenangereicherter Pränahrungen bzw. Zufuhr eisenreicher Beikost, ggf. eine moderate Supplementation. Selbst die DGE, die vegane Kinderernährung ablehnt, kommt also zu dem Schluss, dass Eisenmangel kein veganes Problem ist.
Was wiederum nicht in diesem Abschnitt steht sind z.B. die Ergebnisse bei Abdulla et al. 1981 (die, wie bereits erwähnt, im Abschnitt zu Jod herangezogen wird, nicht aber in diesem): Hier waren die Werte für Eisen (sowie Magnesium und Zink) bei der veganen Gruppe höher als bei der omnivoren Vergleichsgruppe. Das lässt sich sicher nicht verallgemeinern, hätte dennoch diskutiert werden müssen. Oder die Studien von Craig 1994 und Larsson/Johansson 2002 mit der Aussage, Eisenmangel sei unter veganen Kindern bzw. jungen Veganern nicht signifikant häufiger als unter omnivoren. Dass Studien von den Autoren der DGE selektiv ausgewertet wurden bzw. selektiv recherchiert worden sei, will ich damit natürlich nicht behaupten.
Calcium
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen, bleibt übrig: eine. Das ist die Aussage der American Dietetic Association (2009), Kalzium-angereicherte Lebensmittel könnten einen signifikanten Beitrag zur Kalziumversorgung bei Veganern leisten. Wenn man bedenkt, dass beispielsweise fast keine Sojamilch mehr erhältlich ist, die nicht den gleichen Kalziumgehalt wie Kuhmilch aufweist, dürfte es für die meisten Veganer eher schwierig werden, Kalzium-angereicherte Lebensmittel zu vermeiden.
Zum dritten Mal nicht erwähnt wurde Abdulla et al. 1981. In diesem Fall mit dem Ergebnis, dass der Kalziumspiegel der untersuchten Veganer fast gleich mit dem der omnivoren Vergleichsgruppe war. Und das im Jahr 1981. Dass Studien von den Autoren der DGE selektiv ausgewertet wurden, will ich damit usw.
Jod
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen (Prophylaxe-Empfehlungen), bleiben übrig: drei. Das beste Ergebnis bisher.
Laut Abdulla et al. 1981 und Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al. 2003 sei die Jodaufnahme bei Veganern geringer. Jedoch sagt Abdulla et al. auch, dass dennoch keine Zeichnen einer Unterversorgung bei Veganern festgestellt wurden. Und Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al., dass Omnivoren ohne jodiertes Speisesalz (und dessen Verwendung in weiterverarbeiteten Lebensmitteln) wenig Jod aufnehmen würden (ebd., 185). Da Mitteleuropa allgemeines Jodmangelgebiet ist und die Empfehlung, zweimal wöchentlich Fleisch von Hochseefischen zu essen, laut Verzehrstatistik kaum jemand erreicht, bleibt Jodsalz die sicherste Versorgungsquelle, unabhängig von der Ernährungsform.
Shaikh et al. 2003 als dritte Quelle soll eine Fallbeschreibung eines veganen Kindes mit Jodmangel enthalten. Laut diesem Bericht wurde das Kind nur sechs Tage lang gestillt und bekam dann Sojasäuglingsnahrung, die wie alle (auch nicht-vegane) Säuglingsnahrung mit Jod angereichert ist. Das darin zugesetzte Jod hat dann die schlechten Jod-bezogenen Blutwerte verbessert, wie die Autoren vermuten (ebd., 113). Das Problem lag also bei der Mutter, deren Jodzufuhr zu gering war und hätte auch anders ernährte gestillte Kinder betroffen.
Wie darüber hinaus in diesem Abschnitt betont wird, sollen laut allgemeinen Empfehlungen alle Säuglinge unabhängig ihrer Ernährungsform einer Jodprophylaxe erhalten. Mögliche Fälle von Jodunterversorgung gehen daher viel eher auf die Nicht-Beachtung dieser ärztlichen Empfehlung zurück, als von der Ernährungsform.
Die Aussage, dass die Jodprophylaxe bei veganen Kindern auch nach dem Stillen fortgeführt werden soll (nach der Quelle Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde 1996), findet sich in angegebener Quelle nicht. Dennoch ist bei veganen, wie auch nicht-veganen, Kindern auch nach der obligatorischen Jod-Prophylaxe auf eine ausreichende Versorgung durch Jodsalz, jodsalzhaltige Lebensmittel oder andere Quellen zu achten.
Zink
Für diesen Abschnitt gibt es keine auf vegane zutreffende Studie. Das ADA-Positionspapier rate jedoch „mit Einführung von Beikost zu einer individuellen Beurteilung der Zinkzufuhr und in Abhängigkeit des Ergebnisses zu einer Zufuhr von Supplementen oder angereicherten Lebensmitteln“. Die DGE hält diese „individuelle Vorgehensweise“ für „in der Praxis wenig realistisch“. Leider ohne Erklärung, weshalb sie „wenig realistisch“ sei. Mir fällt kein Grund ein, weshalb man die Blutwerte nicht überprüfen lassen können und ggf. supplementieren sollte, falls man nicht gleich vorsorglich supplementiert.
Um mehr Informationen zu liefern als das „Es geht nicht, aber wir verraten nicht, weshalb“ der DGE: Zink sollte nicht mit Lebensmitteln reich an Phytaten (v.a. in Getreide und Getreideprodukten) und/oder reich an Kalzium (bzw. Kalziumsupplementen) zu sich genommen werden, da dies die Resorption vermindert. Zur Zinkversorgung empfehlenswert ist der Konsum von beispielsweise Nüssen (Para-, Erd- und Walnüsse), Sojaprodukten und Haferflocken.
Vitamin B12
Bei diesem Abschnitt müsste die DGE „leichtes Spiel“ haben, da es eindeutig ist, dass bei einem Vitamin-B12-Mangel der Mutter Neugeborene und gestillte Kinder kein Vitamin B12 aufnehmen. Und ein solcher Mangel ist zwangsläufig der Fall, wenn die vegane Mutter nicht direkt supplementiert oder angereicherte Nahrungsmittel zu sich nimmt, wobei die Anreicherung von Lebensmitteln vergleichsweise neu ist. Trotzdem bleiben hier lediglich vier Quellen, die (möglichweise) Veganer betreffen, übrig. Und selbst bei diesen (offensichtliche Nicht-Veganer sind bereits ausgeschlossen) kann nicht sicher festgestellt werden, dass es sich bei den untersuchten Personen um Veganer gehandelt hat.
Bei Lücke et al. 2007 werden vier Fälle beschrieben. Die Mutter des dritten Falls ernährte sich „nahezu vegan“ (ebd., 159) (also nicht vegan). Über die Ernährung von Mutter oder Säugling der anderen drei Fälle gibt es keine Angaben. In Anbetracht der Wortwahl (die Mutter des vierten Falls ernähre sich „veganisch“ (ebd.)) und der Feststellung, dass es sich zwei von vier angeführten Quellen von B12-Mangel bei angeblichen Veganern (ebd., 160) offensichtlich um keine Veganer handelt, 6 ist zweifelhaft, ob die anderen drei hier beschriebenen Fälle nicht auch Anhänger irgendwelcher Ernährungslehren statt Veganer betreffen.
Bei Stötter und Mayrhofer 1996 betrifft ihr erster Querverweis auf bisherige Fälle veganen B12-Mangels Makrobiotiker (ebd., 4) und unter den Quellen finden sich noch weitere Studien zu Makrobiotikern (z.B. zu Dagnelie 1989). Von ihren vier Fallbeispielen, die alle „vegan“ waren, erhielt eines „ab und zu Milchprodukte“ (ebd., 5). Offensichtlich kann Stötter vegane Ernährung nicht von unveganer (egal welcher Art) unterscheiden, daher ist es fraglich, ob die anderen drei Fälle vegan waren.
Weitere Fälle würde bei Dror/Allen (2008) aufgeführt. Überprüft man diese Quelle, erschließt sich, weshalb einige der zitierten bereits keine Veganer waren. Denn Dror/Allen treffen keine Unterscheidung zwischen Veganismus und (prinzipiell oder potenziell nicht-veganen) Ernährungslehren wie Makrobiotik und anderen oben aufgeführten. Bedenkt man die übliche Vermischung, infolge derer (wie beim DGE-Positionspapier) durchschnittlich nicht einmal die Hälfte der Fälle auf tatsächliche Veganer beruhen, dürfte auch bei Dror/Allen die Anzahl der tatsächlichen Veganern wahrscheinlich nicht sehr hoch sein. 7
Bei Sklar 1986 (falls es sich hier um Veganer handelt) 8 liegt der Mangel daran, dass die Mutter keine Supplemente erhielt bzw. nahm (ebd., 219). Damit wird nicht mehr als das Offensichtliche bestätigt.
Festzuhalten ist jedoch, dass die DGE aus all diesen Fällen (angeblichen) Vitamin-B12-Mangel nur schließt, entsprechend auch den Empfehlungen der ADA regelmäßig Vitamin B12 zu supplementieren. 9 Etwas anderes lässt sich daraus auch nicht ableiten. Eine Supplementierung ist einfach, billig und sicher. Und gerade wegen der Wichtigkeit dieses Vitamins für die Entwicklung des Nervensystems und der Anfälligkeit der Resorption (sodass trotz Aufnahme kaum etwas in den Blutkreislauf gelangt), ist eine Supplementierung auch für nicht-vegane Mütter mindestens während Schwangerschaft und Stillzeit empfehlenswert. So ist es nicht schwer Beispiele zu finden, bei denen bei nicht-veganen Kindern von nicht-veganen (omnivoren) Müttern ein Vitamin-B12-Mangel festgestellt wurde (z.B. Ide et al. 2011 oder Quentin et al. 2012), was hätte vermieden werden können.
Vitamin D
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen, bleiben übrig: null. Zwar beginnt der Abschnitt mit „Aus Untersuchungen mit Kindern liegen Hinweise vor, dass ein Vitamin D-Mangel bei makrobiotischer [!] Ernährung“, sodass der Leser weiß, dass die dann genannten Quellen keine Veganer betreffen. Jedoch endet der Absatz mit „Auch bei veganer [!] Ernährung mit begrenzter Lebensmittelauswahl und Ablehnung von Supplementen kam es bei Säuglingen und Kleinkindern zu Rachitis und Hypocalcämien“ und nennt drei Quellen, die immer noch keine Veganer betreffen. 10 Würde man nicht annehmen, die DGE hätte sich an die Grundsätze wissenschaftlicher Redlichkeit gehalten, könnte man fast auf den Gedanken kommen, die irreführende Vermischung von Veganismus mit Ernährungslehren sollte durch die scheinbar bewusste Unterscheidung verschleiert werden.
Im zweiten Absatz wird dann darauf verwiesen, eine Vitamin-D-Supplementierung werde für alle Kinder im ersten Lebensjahr „unabhängig von der Art der Ernährung“ empfohlen. Zu berichtigen ist: Eine Vitamin-D-Supplementierung unabhängig der Ernährung gilt nicht nur für Kindern, sondern für alle Menschen (in Mitteleuropa). Denn bei einem Vergleich zwischen Omnivoren, Vegetariern und Veganern zeigte die Ernährung keinen signifikanten Einfluss auf den Vitamin-D-Spiegel (Chan et al. 2009). Zu wenig Vitamin D ist ein Problem für alle Menschen in unseren Breitengraden. Denn die Bildung in der Haut über die UV-B-Strahlung des Sonnenlichts ist die Hauptquelle. Die ist nur im Sommerhalbjahr verfügbar, doch selbst dann nehmen viele Menschen nicht genügend Sonnenlicht auf. Vitamin-D-Mangel ist also kein Problem der veganen Ernährung (und auch nicht des Alters).
Omega-3-Fettsäuren („Langkettige n-3 Fettsäuren“[sic])
Der Abschnitt zu Omega-3-Fettsäuren (das sind: ALA, EPA und DHA) ist der einzige, bei dem alle nicht-allgemeinen Quellen auf tatsächliche Veganer zurückgehen könnten. Ungünstigerweise muss dann ausgerechnet hier von der DGE festgestellt werden, dass Mangelsymptome nicht feststellbar sind.
Die Kernaussage lautet: Die Aufnahme und der Blutspiegel der Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA ist bei Veganern merklich niedriger als bei Omnivoren. Negative Auswirkungen dadurch konnten jedoch nicht beobachtet werden. Sanders/Reddy (1992, S76) schreiben z.B. (was die DGE jedoch erwartungsgemäß nicht zitiert): Trotz der niedrigeren Blutspiegel gibt es „keinen Hinweis darauf, dass neurale oder intellektuelle Funktionen [veganer Kinder] beeinträchtigt sind“ (wie bei einem Omega-3-Mangel im Wachstumsalter zu erwarten wäre).
Erneut muss gefragt werden, wieso hier ebenfalls relevante Studien nicht aufge-nommen wurden. Obwohl von Sanders zwei andere Studien herangezogen werden, wird eine neuere (Sanders 1999) ausgelassen. Darin wird erneut bestätigt, dass bei veganen Kindern trotz der geringeren Mengen von DHA im Blut keine Beeinträchtigung der neuronalen Entwicklung festgestellt werden kann. Oder die Studie von Magdalena et al. (2005), die auch im sonst sehr ausgiebig herangezogenen AJCN erschien. Hier wird festgestellt, dass erwachsene Veganer eine niedrige, aber (auch über lange Zeiträume) stabile Konzentration von EPA und DHA im Blut aufweisen, die Umwandlung aus der ausreichend aufgenommenen Omega-3-Fettsäure ALA also zumindest für die Vermeidung eines Mangels ausreicht.
Und erneut ist fraglich, ob Nicht-Veganer so sicher vor einer Omega-3-Unterversorgung sind. Die hier zierten Studien Koletzko et al. 2007 und 2008 empfehlen ein- bis zweimal die Woche eine Mahlzeit mit Seefischen. Wenige Menschen (in den deutschsprachigen Ländern) werden das tatsächlich umsetzen können und wollen. Zudem schwank der DHA-Gehalt bei Seefischen, eine wirklich sichere Versorgung ist ähnlich wie bei Jod unabhängig der Ernährungsform nur durch eine Supplementierung zu gewährleisten.
Für (vor allem schwangere und stillende) Veganer wie auch Nicht-Veganer gilt dennoch die hier genannte Empfehlung: Zur Sicherheit sollten täglich 200 mg DHA supplementiert werden. Zusätzliche Hinweise: Linolsäure (gehört zu den Omega-6-Fettsäuren) stört die Umwandlung von ALA in EPA und DHA, der Konsum von Linolsäure (v.a. Sonnenblumenöl) sollte daher reduziert werden. Dagegen sollte die ALA (Alpha-Linol ensäure, eine Omega- 3-Fettsäure) konsumiert werden als Ausgangsbasis für die Umwandlung zu EPA und DHA. Geeignet sind dafür vor allem Flachs- (bzw. Leinsamen-) und Rapsöl, da andere Öle ein ungünstiges Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren aufweisen. 11
Fazit
Im „Fazit“ wird nun zusammengefasst, bei welchen Nährstoffen das „Risiko einer defizitären Zufuhr“ besteht. Hier hätte man getrost alle Nährstoffe, die es gibt, aufzählen können, denn ein (hier ja nicht näher benanntes) Risiko besteht immer. Dass die Wahrscheinlichkeit dafür umso größer ist, „je stärker die Lebensmittelauswahl eingeschränkt wird und je weniger abwechslungsreich die Ernährung ist“ ist völlig richtig. Bevor darauf jedoch abzuleiten ist, dass vegane Ernährung (hier plötzlich „rein pflanzliche Ernährung“) „nicht geeignet, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen“, hätte man sich auf Quellen stützen müssen, bei denen nicht die Hälfte eindeutig keine Veganer betrifft und von der verbliebenen Hälfte dies immer noch bei einem Großteil fraglich ist. Doch womöglich hätte man dann, wie die ADA, zum Schlussfolgerung kommen müssen, vegane Ernährung ist auch im Kindes- und Säuglingsalter praktikabel. Das sollte wohl vermieden werden.
Für schwangere und stillende Veganerinnen und vegane Kinder gilt trotzdem, die (auch für Nicht-Veganer geltenden) Supplementierungsempfehlungen umzusetzen, zusätzlich die für Vitamin B12, die DHA-Fettsäure und Zink. Zudem ist empfehlenswert, die Energiedichte der Nahrung zu steigern. Das ist möglich über die Verminderung von Nahrungsmitteln mit vielen Kohlenhydraten und/oder Ballaststoffen und die Steigerung von Nahrungsmitteln mit hohem Eiweiß- und/oder Fettgehalt.
Zusammenfassung
Das DGE-Positionspapier weist gravierende Mängel beim Nachweis der behaupteten Aussagen auf, die das formulierte Ergebnis grundsätzlich infrage stellen. Die wesentlichen dieser Mängel sind:
Mehr als die Hälfte der zitierten Studien über angebliche Veganer betraf Anhänger von Ernährungslehren, die sich von veganer Ernährung deutlich unterscheiden.Selbst von den verbleibenden Studien ist es bei einem Teil fraglich, ob sie Veganer betreffen; sie machen andere Aussagen, als die von der DGE zitierten; oder entlasten die Vorwürfe.Es wurden mehrere veraltete Studien herangezogen, obwohl deren Ergebnisse auf die heutige Zeit kaum übertragbar sind.Viele zitierten Studien wurden einseitig negativ ausgewertet, positive Aussagen über vegane Ernährung wurden nicht mit aufgenommen. Andersherum wurden die Risiken nicht-veganer Ernährung bei den jeweiligen Nährstoffen selten erwähnt.Die Recherche von Studien über vegane Ernährung erfolgte offensichtlich selektiv. Relevante Studien, die hätten gefunden werden müssen (weil sie von einem mehrfach zitierten Autor stammen oder in einer unter den Quellen stark vertretenen Zeitschrift veröffentlicht wurden), wurden nicht herangezogen.
Weitere Links zum Thema
Einträge auf veganekinder.de in der Rubrik „Informationen“ u.a. zu den Themen: Auszug aus der ADA-Position, Bioverfügbarkeit, Eisen, Folsäure, Kalzium, Vitamin D, Vitamin B12, Zink. Sowie in der Rubrik „Fragen“ u.a. zu den Fragen »Ist es nicht schädlich, Kinder vegan zu ernähren?«, »Ist vegane Ernährung für Kinder gesund?«, »Worauf ist während der Schwangerschaft zu achten?« und »Worauf ist während der Stillzeit zu achten?«.
Der veganismus.de-FAQ-Eintrag „Aber die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) sagt …“
[Für Quellen und Fußnoten Eintrag vollständig anzeigen lassen:]
Jonathan Safran Foers Buch Tiere essen wurde von den Medien bald nach Erscheinen zur „Bibel der Vegetarier“ erklärt. Der Vergleich passt auf unfreiwillige Weise, denn das bedeutet: Es ist ein Buch, das weitgehend ungelesen ins Regal gestellt wird und in dem man, wenn man es denn einmal liest, Aussagen findet, die den Behauptungen darüber widersprechen. So wie die Bibel als „Buch der Liebe“ deklariert wird, obwohl sie voller Gewaltverherrlichung steckt, tritt Foer nicht (einmal) für Vegetarismus ein, sondern nur für die Reduzierung des Fleischkonsums.
Nun steht das nächste Buch, das zu einer „Bibel“ wird, in der Reihe. Es handelt sich um Campbells China Study. T. Colin Campbell und sein Sohn haben über mehrere Jahre in China Daten zum Ernährungsverhalten der dortigen Bevölkerung und ihren Gesundheitszustand gesammelt, um daraus Rückschlüsse auf die gesündeste Ernährungsweise ziehen zu können. Dieses Buch wird nun mit einer erstaunlichen Reflexhaftigkeit – ohne dass die meisten der Adepten einen Blick hineingeworfen hätten – in bestimmten Kreisen zum fünften Evangelium erklärt. Andererseits nimmt es auch nicht wunder, betrachtet man diese Kreise näher. Es ist vordergründig die Esoterik-Fraktion unter den Veganern – Homöopathie, „Impfkritik“, Ernährungslehren und das Modewort „Ganzheitlichkeit“ sind nur einige ihrer Merkmale. Passend dazu ist die deutsche Übersetzung im verlag systemische medizin erschienen, der hauptsächlich Esoterik-Literatur vertreibt. Auch die deutsche Aktionsseite zum Buch ( diechinastudy.de) weist ähnlich geartete Links auf.
Es spräche nichts dagegen, dieses Buch zur Lektüre zu empfehlen. Doch die Art und Weise, wie diese Empfehlung von einigen betrieben wird, erinnert eben doch an quasireligiöse Verkündigung. Eine kritische Reflexion findet nicht statt, obwohl gerade im Bereich Ernährungswissenschaft die einzige Konstante ist, dass fast keine definitiven Aussagen möglich sind. Dennoch werden Campbells Behauptungen unhinterfragt als offenbarte Wahrheit dargestellt.
Dabei wäre von jedem zu erwarten, dass er imstande ist, Aussagen kritisch zu lesen. Es ist zudem nicht schwierig, fachliche Kritik zu finden, wenn man meint, das eigene Fachwissen reiche nicht für eine kritische Beurteilung. Natürlich ist nicht jede Kritik an Campbell fraglos berechtigt. Sie stammt auch aus ähnlich vorurteilsbehafteten und vor Ideologie blinden Personen und Organisationen, von denen die Weston A. Price Foundation nur die bekannteste ist (sie propagiert, möglichst viele unverarbeitete Tierprodukte zu essen). Doch gibt es auch glaubwürdige Kritiker wie auf sciencebasedmedicine.org oder in privaten Blogs, die trotz aller inhaltlichen Kritik Campbells Untersuchung als wichtigen Beitrag zur Diskussion würdigen.
Sie weisen jedoch auf einige grundsätzliche Probleme hin, die alle zur Kenntnis nehmen sollten, die meinen, Campbell wäre die Antwort auf die letzten Fragen.
Statistiken und Korrelationen
Ein Grundproblem liegt in Campbells Herangehensweise. Wie er selbst sagt, 1 sammelte er die vielen Daten nicht, um mit ihrer Hilfe Schlussfolgerungen zu ziehen, sondern um seine Theorien, die für ihn bereits feststanden, zu beweisen – eine wissenschaftlich unredliche Vorgehensweise. Aufgrund dieser Haltung musste er nur unter den 8 000 statistisch signifikanten Korrelationen, die sich aus den Rohdaten ergeben haben, die geeigneten zusammenzusuchen.
Nur heißt eine Korrelation zu finden nicht, die Ursache identifiziert zu haben. So finden sich nicht nur positive Korrelationen zwischen dem Konsum von Tierprodukten und Krebs, sondern auch zwischen dem Konsum von Weizenprotein und Krebs und zwischen grünem Gemüse und Herzkrankheiten. Dieser Herangehensweise entspricht ebenfalls sein Umgang mit Statistiken, der es Kritikern oft einfach macht. So die Statistik über Brustkrebs, in der es einen „Ausreißer“ gibt, also einen Wert, der sehr stark von den anderen abweicht. Solche Werte werden normalerweise ausgeschlossen, weil sie, wie hier der Fall, sonst das Ergebnis verzerren können. Ließe man ihn weg, wäre die Korrelation zwischen Brustkrebs und dem Konsum von Tierprotein kaum höher als die zwischen Brustkrebs und Pflanzenölen.
Neben diesen statistischen Fragwürdigkeiten, argumentiert er stark monokausal. Ursachen für Krebs gibt es viele (nicht nur Cholesterin). Verantwortlich können auch gemacht werden: der Blutzuckerspiegel, stark verarbeitete Weizenprodukte, Bierkonsum oder Faktoren außerhalb der Ernährung wie die Beschäftigung in der Industrie statt in der Landwirtschaft oder Verwaltung. Campbell selbst behauptet, Reduktionismus sei eine häufige Fehlerquelle. Dennoch benutzt er Cholesterin nicht weniger reduktionistisch als eindeutige Krankheitsursache.
Zur Monokausalität gehört ebenfalls, dass Ergebnisse von Untersuchungen an Kasein auf alle Tierproteine übertagen werden, obwohl sich andere Tierproteine biochemisch auch anders verhalten. Manche Fakten werden erst gar nicht erwähnt. So zum Beispiel, dass China die weltweit höchste Magenkrebsrate hat, was nicht so recht zum Vorbild passt, zudem es gemacht werden soll.
Das leidige Thema
Abgesehen vom Thema Tierproteine ist besonders beachtenswert, welche Aussagen er zum Thema Veganismus (wenn man es so nennen will) macht. Seine Aussagen zu Vitamin B12 passen leider in die Reihe seines oftmals unfundierten und wenig durchdachten Umgangs mit Quellen. Angeblich würden Pflanzen B12 problemlos aus dem Boden aufnehmen, solange es „gesunder Boden“ ist, kein „lebloser“ (S. 232; hier wie im Folgenden zitiert nach der englischen Ausgabe). Gemeint ist mit diesen Begriffen die Biolandwirtschaft. Damit ist das Thema im Buch für ihn beendet. Jedoch zeigt die Quelle, auf die er seine Behauptung stützt, 2 dass es einige Probleme mit der Umsetzung gäbe.
Das eine Problem: Die geteste Methode der B12-Anreicherung ist „bio“, aber nicht vegan, denn der „Bio-Dünger“, der das B12 enthält und mit dem die Tests gemacht wurden, ist Tierdünger. Theoretisch ist auch die Ausbringung von B12 selbst möglich; nur fragt sich, inwiefern das dann noch als bio zu bezeichnen ist, da es sich schließlich um einen äußerst „unnatürlichen“ Vorgang handelt. Abgesehen von der Ineffizienz, B12 auf die Felder zu schütten anstatt Nahrungsmitteln direkt damit anzureichern.
Das andere Problem: Die Menge B12 in den Pflanzen reicht bei weitem nicht für eine gesicherte Versorgung. Der höchste Wert, der bei den Tests erreicht wurde, liegt bei knapp 18 Nanogramm je Gramm Trockengewicht Spinat. Für die Tagesdosis von zehn Mikrogramm B12 müsste man also Spinat in einer Menge von ca. 550 Gramm Trockengewicht oder zwischen anderthalb und zwei Kilo Normalgewicht konsumieren. Und das täglich.
Entsprechend fahrlässig ist es, dass Campbell von Supplementierung abrät. Außer wenn man seit mehr als drei Jahren keine Tierprodukte isst, schwanger ist oder stillt, dann sollte man „gelegentlich kleine B12-Supplemente nehmen“ oder jährlich seinen B-Vitamin- und Homocystein-Spiegel überprüfen lassen. Nur sind „gelegentlich kleine Mengen“ zu wenig (zu den richtigen Mengen und richtigen zeitlichen Abständen siehe hier) und Testen zu lassen ist unsinnig. Es ist deutlich teurer als Supplemente zu kaufen und kann durch fehlerhafte Ergebnisse in falscher Sicherheit wiegen.
Campbell für Veganismus?
Sowohl von den Befürwortern als auch von einigen Gegnern des Buches wurden Campbells Ernährungsempfehlungen auf den Begriff „Veganismus“ gebracht; der Untertitle der zweiten Auflage lautet nun „Die wissenschaftliche Begründung für eine vegane Ernährungsweise“. Allen diesen ist entweder nicht bekannt, was Veganismus ist, sie haben das Buch nicht gelesen, nicht verstanden oder die Widersprüche, die sich finden, sind ihnen schlicht egal. Ich überspringe den offensichtlichen Fehler, dass Veganismus keine Ernährungsweise ist, sondern auch Nicht-Ernährungsbereiche umfasst, und komme zur entscheidenden Stelle (S. 242, 244):
Mein Ratschlag ist zu versuchen, alle Tierprodukte aus der eigenen Ernährung zu streichen, es aber nicht zu übertreiben. Wenn eine schmackhafte Gemüsesuppe mit Hühnerbrühe gemacht ist oder wenn ein herzhafter Laib Brot eine kleine Menge Ei enthält, machen Sie sich keine Gedanken. [
] Diese Mengen sind höchstwahrscheinlich ernährungstechnisch vernachlässigbar.
Wobei er die erste Anweisung – möglichst alle Tierprodukte zu vermeiden – auch so ausdrückt, dass man den Tierproduktkonsum auf „10–0%“ (S. 242) reduzieren solle. Ernährungstechnisch hat er recht, es ist vernachlässigbar. Aber ernährungsethisch nicht: Alles außer null Prozent ist eindeutig keine vegane Ernährung. Zudem gilt „Fisch“ zu den nicht zu vermeidenden, sondern nur zu reduzierenden Nahrungsmitteln (S. 243). Ähnlich wie Foer und andere plädiert er also nur für eine (wenn auch tlw. starke) Reduzierung des Tierproduktkonsums, nicht aber für Veganismus.
Fazit
Bei diesem Buch wie auch bei allen anderen ist wie immer eines zu raten: kritisch lesen. Nicht irgendwelchen Organisationen nach dem Mund reden, erst recht nicht solchen, die auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Spenden ausgerichtet sind. Denn deren kritisches Hinterfragen endet bei dem Ausstellen von Spendenquittungen.
Wirklich nötiger gewesen wäre ein Buch, das nachweist, dass vegane Ernährung tatsächlich unproblematisch ist und wieso. Langleys Vegane Ernährung ist veraltet und und Leitzmanns & Kellers Vegetarische Ernährung zu sehr auf Vegetarismus konzentriert. Campbells Buch ist dagegen weitgehend unnötig. Dass übermäßiger Tierproduktkonsum gesundheitsschädlich ist, wird von niemandem ernsthaft bestritten. Selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt den Fleischkonsum zu halbieren.
Eine gänzliche Vermeidung von Tierprodukten kann man gesundheitlich hingegen nicht begründen. Das ist kein Argument gegen den Veganismus, da man es auch nicht muss. Veganismus ist ethisch motiviert – und ethisch ist es möglich, die gänzliche Vermeidung zu begründen. Was den gesundheitlichen Aspekt betrifft, ist Veganismus unbedenklich und deutlich gesünder im Vergleich zur gegenwärtigen Durchschnitts-Ernährung. Mehr braucht es nicht. Alles andere kann als kaum haltbare Übertreibung abgetan werden und schadet der Argumentation für Veganismus – und vor allem ihrer Glaubwürdigkeit.
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1 Siehe http://www.campbellcoalition.org/?page_id=203 [08.08.2011].
2 A. Mozafar: Enrichment of some b-vitamins in plants with application of organic fertilizers, in: Plant and Soil 167 (1994), 305–11.
Foto Cover: keyvive.com.
Foto Statistik: rawfoodsos.com/2010/08/06/final-china-study-response-html/.
Es gibt einen antiwissenschaftlichen Affekt im Umgang mit Veganismus. Allen voran von den Medien, haben sie sich doch Teile von ihnen noch nie für Fakten interessiert, sondern für Schlagworte und Spekulationen. Aber auch einzelne Wissenschaftler zeigen, dass sie diesem Niveau in nichts nachstehen. Schuld sind aber ebenso einige verantwortungslose Personen unter den Veganern, die Ernährungslehren anhängen und Veganismus dadurch in Verruf bringen.
Veganer Kinderfriedhof bisher leer
Die Diskrepanz zwischen medialer Berichterstattung und Realität wird deutlich an all den verhungerten veganen Kinder, deren genaue Zahl Null beträgt. Angelastet wurden dem Veganismus jedoch mehrere Fälle: ein Kind von Rohkost-Eltern; eines, das an einer Lugenentzündung starb; und eines, das Eier konsumierte, was nicht wirklich vegan ist.
Aber das bisschen Recherche war vielen Vertretern der Presse zu viel. Statt sich über die Fakten zu informierten, produzierten sie lieber Überschriften wie "Kinder sollten nicht vegan leben" (Neue Westfälische, 10.07.2004), "Veganer-Eltern ließen Baby verhungern" (Kölnische Rundschau, 09.07.2004), "Kleinkind von Veganern verhungert" (Berliner Morgenpost, 10.07.2004) usw. Dass die kritische Überprüfung von Fakten (hier: waren diese Kinder überhaupt vegan) zum journalistischen Alltagsgeschäft gehöre, scheint diesen Schreibern nicht mehr vertraut zu sein.
Journalisten korrigieren Wissenschaftler
Noch abwegiger (aber nicht wesentlich seltener) wrid es, wenn Journalisten nicht 'vegessen' zu recherchieren, sondern nicht einmal lesen können (oder wollen), worauf sie sich beziehen. Vor zwei Jahren wurde eine Studie veröffentlicht, die den Kalziumhaushalt und die Knochendichte von Veganern untersuchen wollte. 1 Zwar gab es hier den bereits methodischen Fehler, dies an buddhistischen Nonnen zu ermitteln, sodass die Ergebnisse nicht auf Veganern übertragbar sind, die unter wesentlich besseren Ernährungsbedingungen leben, aber das Ergebnis war ohnehin ein positives. Denn es wird festgehalten, dass trotz niedrigerer Kalziumaufnahme "Veganismus keine nachteiligen Folgen für die Knochenmineraldichte hat und die Körperzusammensetzung nicht ändert". In einer Pressemitteilung dazu sagt einer der Autoren:
Für die 5% der Menschen in westlichen Ländern, die Vegetarier sind, ist das eine sehr gute Neuigkeit. Sogar Veganer, die nur pflanzliche Nahrung essen, zeigen, dass die so gesunde Knochen haben wie jeder sonst.2
Nun möchte man meinen, "Veganer haben so gesunde Knochen wie jeder sonst" sei eindeutig. Aber die Journalisten wissen es besser als die Autoren der Studien. Denn sie haben das Detail herausgegriffen, dass die Knochendichte bei den Veganern um 6% geringer war. Das ist richtig, nur ist es eine so kleine Abweichung, dass sie von den Autoren als nicht-signifikant bewertet wurde. Die Agence-France-Presse schreibt dennoch: "Vegetarische Ernährung schwächt die Knochen" und die deutsche Variante bei n-tv trägt die Überschrift: "Veganer mit schwachen Knochen". Das setzt sich auch in Online-Magazinen fort wie bei opposingviews.com mit "Vegetarische Ernährung führt zu niedrigerer Knochendichte". Es gab auch Medien, die den Sachverhalt richtig dargestellt haben. Aber die eben genannten Beispiele, unter anderem von einer großen Presseagentur, zeigen erneut, dass manche Journalisten gerne die wesentlichen Fakten ignorieren, wenn die unwesentlichen "besser" sind.
Erhöhtes Infarktriskio?
So wundert es nicht, dass vor einigen Wochen eine weitere Studie von den Medien zurechtgerückt wurde. Duo Li hat lediglich bestätigt, was nicht neu ist: dass Veganer niedrigere Vitamin-B12-Werte hätten (wenn sie nicht supplementieren würden) und niedrigere Werte bei Omega-3-Fettsäuren. 3 Auch nicht neu war, dass sich diese beiden Faktoren nachteilig auf Gefäße und Herz auswirken könnten.
Erneut werden einige Frage aufgeworfen, wenn man die Studie kritisch betrachtet. So befasst sie sich eigentlich mit Vegetariern und ist deshalb nur bedingt auf Veganer anzuwenden. Bei einer der vier Studien, die Li zum Omega-3-Status anführt, wurden keine Veganer berücksichtigt, sondern nur Vegetarier. 4 Bei einer weiteren 5 zitiert er ihr Ergebnis nur teilweise, wohingegen die Autoren der Studie zu dem Schluss gekommen sind, dass "die endogene [körpereigene] Produktion von EPA und DHA [zwei der drei Omega-3-Fettsäuren] niedrige aber stabile Plasmakonzentrationen" gewährleistet. In der dritten Studie wurden lediglich 18 vegane Versuchspersonen einbezogen (gegenüber 121 Nichtveganern), 6 was schwerlich repräsentativ ist, und die vierte Studie widerspricht der eben zitierten zweiten. 7
Aber lassen wir dies beiseite und sehen uns an, zu welcher Schlussfolgerung Li gekommen ist. Ich zitiere aus der Zusammenfassung:
Omnivoren haben ein signifikant größeres Bündel von kardiovaskulären Risikofaktoren verglichen mit Vegetariern, einschließlich höherem BMI, höherem Taille-Hüft-Verhältnis, höherem Blutdruck, höherer Cholsterinblutkonzentration, höheren Triacylgycerol- und LDL-C-Werte, höherer Lipoprotein(a)-Konzentration, höherer Plasma-Faktor-VII-Aktivität, höherem TC/HDL-C-Verhältnis, höheren LDL-C/HDL-C-, sowie TAG/HDL-C- und Serum-Ferritin-Werten.
Ohne das im Einzelnen näher zu erklären, reicht es zu wissen, dass das alles nicht gut ist.
Und was sagt er nun zu Vegetariern (bzw. Veganern) wegen ihrer vermutlich geringeren Omega-3-Aufnahme? Ebenfalls aus der Zusammenfassung:
Es wird vorschlagen, dass Vegetarier, besonders Veganer, über ihre Nahrungsaufnahme mehr Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B12 einnehmen.
B12 wird vernünftigerweise ohnehin supplementiert und Omega-3-Fettsäuren finden sich in z.B. Walnüssen, Sojaprodukten, Rapsöl, Leinenöl, Hanfsamen und Hanföl.
Das Ergebnis lautet mit anderen Worten: Omnivoren haben ein, wie er schreibt, Bündel von Risikofaktoren und Veganer sollten darauf achten, öfter bestimmte Pflanzenöle zu konsumieren. Aber daraus lässt sich aber nichts machen, weiß die Presse. Also greift sie zur gleichen Methode wie bei der Kalzium-Studie: ein Detail wird herausgegriffen und aufgebauscht. Das klingt dann etwa so: "Haben Veganer ein schwaches Herz?" ( experto.de) und "Vegane Ernährung schlecht fürs Herz?" ( diabetes-ratgeber.net) lauten zwei suggestive Fragen, deren Antwort Ja sein soll. Reißerisch wird es bei der SZ mit "Auf zu viel verzichtet", die warnt, dass der "totale Verzicht auf tierische Produkte gefährlich werden" kann. Lediglich die dpa-Meldung "Veganer müssen vorbeugen" erwähnt überhaupt die oben zitierten Zeilen zu den Risiken bei einer omnivoren Ernährung, die immerhin in der vorangestellten und online problemlos auffindbaren Zusammenfassung der Studie stehen (und nochmals am Ende), nicht versteckt in irgendeiner Fußnote. Die anderen drei Artikel halten den Hinweis darauf, dass Li lediglich auf einen möglichen Nachteil des Veganismus hingewiesen hat, aber Unveganismus stark kritisierte, für nicht erwähnenswert. Zu dumm, um richtig zu lesen oder nur unwillig?
Veganer sind Veganer
Auf der Seite der Wissenschaftler (oder Autoren, die einen Anspruch in diese Richtung haben) sieht es beim Umgang mit Fakten manchmal nicht viel besser aus als bei der schreibenden Zunft. Eine der Voraussetzung für das wissenschaftliche Arbeiten ist Exaktheit. Einem Chemiker kann es nicht egal sein, ob seine Probe verunreinigt ist, da die Resultate ansonsten unbrauchbar sind. Und bei allen fängt die Exaktheit bereits bei den Begriffen an. Ein Ethnologe, der Indianer erforschen will und zu den Indern fährt, würde sich lächerlich machen.
Fast normal erscheint es schon, verschiedene Ernährungsweisen zu mischen, vor allem wenn dies im Diente des antiveganen Ressentiments geschieht. Besonders beliebt ist es, Makrobiotiker, Rohköstler und ähnliche zu Veganern zu machen. Entweder von den Wissenschaftlern selbst oder von anderen Autoren, die sich auf Studien beziehen. Wahrscheinlich glauben einige, dass das irgendwie dasselbe sei. Um nur zwei Beispiele zu nennen:
Rianne Baatenburg de Jong et al. veröffentlichten 2005 einen Artikel im European Journal of Pediatrics unter dem Titel: "Schwerer ernährungsbedingter Vitaminmangel bei einem gestillten Kind einer veganen Mutter." 8 Bereits in der Zusammenfassung stellt sich dann heraus, dass es sich bei der Mutter nicht um eine Veganerin, sondern um eine Makrobiotikerin gehandelt.
Die antivegane Autorin Lierre Keith, die keine Wissenschaftlerin ist, sich aber auf Studien zu beziehen meint, behauptet: "[I]n einer Studie hatten 28% der veganen Kinder Rachitis im Sommer und 55% im Winter." 9 Der Titel der Studie, wenn man ihn dann nachschlägt: "Die starke Verbreitung von Rachitis bei Kindern der makrobiotischen Ernährung." 10 An einer anderen Stelle zitiert sie selbst unverholen einen Satz mit dem Begriff "makrobiotische Kinder", woraus unschwer ersichtlich ist, dass es sich um Makrobiotiker, nicht um Veganer handelt, obwohl sie hier Veganer kritisiert. 11 Entweder hat sie keine Ahnung, dann ist es schlechte Recherche. Oder es ist gezielte Irreführung.
Denn Makrobiotik (oder eine andere Ernährungslehre) ist weder dasselbe wie Veganismus, noch so ähnlich, dass man vom einen auf das andere schließen könnte. Lassen wir zuerst den Fehler beiseite, dass Veganismus keine Ernährungsform ist, weshalb Studien, die sich nur auf die Ernährung beziehen, von Veganköstlern sprechen müssten. Dann kommen wir zur Feststellung, dass Anhänger der dieser Ernährungslehren sich nicht einmal vegan ernähren. Anhänger der ayurvedischen Ernährung konsumieren in allen drei Varianten (Vata, Pitta und Kapha) Tiermilchprodukte und in zweien Bienenhonig (Vata und Kapha). Makrobiotiker konsumieren Fische, teilweise gesäuerte Tiermilchprodukte und (nach der Acuff-Variante) Eier. Rohköstler konsumieren rohe Produkte, das können auch rohe Tierprodukte wie rohe Hühnereier, rohe Tiermilch oder rohes Fleisch sein. Und Anhänger der Anthroposophie dürfen ohnehin alle Tierprodukte konsumieren. 12 Dem aufmerksamen Leser dürfte aufgefallen sein, dass das alles Dinge sind, die in der veganen Ernährung eindeutig nicht vorkommen.
Nun ist es so, dass ein Anhänger einer dieser Ernährungslehren theoretisch auch diese Tierprodukte weglassen könnte oder sie nur in so geringem Maße konsumiert, dass es ernährungsphysiologisch kaum relevant ist. Deshalb, so denken und handeln augenscheinlich einige Wissenschaftler, könnte eine solche Person trotzdem zur Untersuchung der veganen Ernährung herangezogen werden. Doch auch das ist falsch. Viele dieser Ernährungslehren beinhalten irrationale Einschränkungen wie der fast vollständige Wegfall von Hülsenfrüchten bei fast allen Rohkostformen, da diese vor dem Verzehr erwärmt werden müssten. Damit fehlt ihnen die wichtigste pflanzliche Proteinquelle. Oder der Wegfall von Getreide, Nüssen und Samen bei Rohkost nach Wandmaker, wodurch unter anderem die Nüsse als Fettquelle fehlen. Makrobiotiker vermeiden größtenteils Nachtschattengewächse (Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Auberginen) wegen deren "extremem Yin", womit ihnen Quellen für Stärke und Vitamine fehlen. Diese Einschränkungen in Grundnahrungsmitteln (hier: Hülsenfrüchte und Kartoffeln) und weiteren Nahrungsmitteln gibt es bei veganer Ernährung nicht und das kann sich deutlich in den ernährungsphysiologischen Folgen widerspiegeln.
Genauso wichtig ist zu beachten, dass diese Ernährungsformen oftmals unter unreflektierten Schlagworten wie "Natürlichkeit" Vitamin-B12-Supplementation, die als "künstlich" angesehen wird, ablehnen. Wenn die Vertreter keine oder wenige Tierprodukte konsumieren, fehlt es ihnen dieses Vitamin im Gegensatz zu richtigen Veganern, die mit der Supplementation keine Probleme haben. So wundert es nicht, wenn es sich bei einem B12-Mangel, der angeblich bei einem Veganer festgestellt worden sei, tatsächlich um Rohköstler, Urköstler oder Makrobiotiker gehandelt hat.
Daraus lässt sich das Offensichtliche schließen: Nur Veganer sind Veganer, alle anderen nicht. Querschlüsse zwischen den Ernährungsformen sind methodisch falsch.
Unvertretbar?
War es nur Zufall oder lag es daran, dass Lindsay Allen beim "Forschungsarm" des US-Landwirtschaftsministeriums angestellt ist, dem US Agricultural Research Service's Western Human Nutrition Research Centre? Die von ihr geleitete Studie 13 von 2003 verglich vier Gruppen von Kindern, denen zu ihrer üblichen Ernährung zusätzlich Fleisch, Tiermilch und Pflanzenöl gegeben wurde. Das Resultat war, dass die Fleisch-Gruppe sich besser entwickelte als die anderen Gruppen. Ihre Schlussfolgerung, die sie zwei Jahre später gegenüber der Presse mit Bezug auf diese Studie äußerte, lautet: "Es ist unethisch, Kinder vegan zu ernähren." 14
Wenn man betrachtet, wie sie von den Ergebissen zu dieser Schlussfolgerung kommt, wird man das Gefühl nicht los, dass sie andere für dumm hält. Die Versuchspersonen dieser Studie waren unter- bzw. schlecht ernährte Kinder in Kenia. Veganismus aufgrund von unterernährten Versuchspersonen, die etwas zusätzliches Öl bekommen, zu bewerten, ist so lächerlich, dass nicht verwunderlich ist, weshalb ihr eben zitierter Ausspruch nicht in der Studie selbst steht. Denn das hätten sich die Herausgeber der Fachzeitschrift verbeten. Auch der "Vergleich" der Versuchsgruppen ist nicht weniger lächerlich: Das Pflanzenöl hat bei allen Nährstoffen bis auf Eisen deutlich niedrigere Werte als die anderen beiden Ergänzungen. 15 Z.B. bei Protein kaum die Hälfte und bei Zink nur knapp die Hälfte gegenüber Fleisch. Wäre eine wirklich äquivalente Ergänzung genommen worden (z.B. in Form von Hülsenfrüchten), wären die Ergebnisse anders ausgefallen als bei diesem groteskt schiefen Vergleich.
Vor allem der erste dieser zwei ausgewählten 16 Kritikpunkte wurde teilweise auch von der Presse berücksichtigt. Teilweise. Viele plapperten dagegen ohne kritische Hinterfragung Allens Aussage nach. So die Associated Press, deren Meldung bei Yahoo News unter dem Titel "Fleisch ist wichtig für kindliche Entwicklung" wiedergegeben wird, bei der Stuttgarter Zeitung mit dem Untertitel "Veganische [sic!] Ernährung für Kinder unvertretbar" und bei den Oberösterreichischen Nachrichten heißt es: "Vegane Ernährung schadet". Hinweise auf die Umstände der Studie fehlen. Übrig bleibt die Aussage, Veganismus sei schlecht für Kinder.
Veganismus ist unnatürlich
Vorurteilsbehaftete Wissenschaftler und Journalisten sind nicht die einzigen, die Veganismus in Verruf bringen. Auch unter angeblichen Veganern (die oftmals, wenn überhaupt, nur Veganköstlern sind) gibt es Personen und Gruppierungen, die esoterischen Ernährungslehren wie den oben genannten anhängen. Die Folge ist, dass sie Kleinkinder mit Mandelmilch ernähren, was selbstverständlich eine Mangelernährung ist, oder die B12-Supplementation als "künstlich" oder "synthetisch" ablehnen, 17 was (wiederum gerade bei Kleinkindern) selbstverständlich schnell einen B12-Mangel nach sich zieht.
Veganismus ist unnatürlich und das ist gut so. Die Natur ist kein Maßstab, weder die Ethik ( "Löwen fressen doch auch Antilopen") noch die Ernährung betreffend. Es besteht keine generelle Notwendigkeit, bestimmte Lebensmittel aus anderen als aus ethischen Gründen zu vermeiden. Wenn es Grundnahrungsmittel betrifft, kann die Vermeidung schädlich sein. Und notwendige Supplementation abzulehnen, ist unverantwortlich.
Der Veganismus ist keine Wunderernährung, die alle gesundheitlichen Probleme löst. Aber er ist – mit etwas Verstand durchgeführt –, gesund und ohne bedeutende Nachteile. Ungeachtet der Versuche mancher Journalisten und ideologischer Wissenschaftler, ihn mit billigen Methoden zu diskreditieren. Und ungeachtet einiger angeblicher Veganer, die unwissenschaftlichen Ernährungslehren anhängen. Denn an einer Hürde scheitert der antiwissenschaftliche Affekt letztendlich immer: den Fakten.
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Fußnoten
1 L. T. Ho-Pham, P. L. T. Nguyen, T. T. T. Le, T. A. T. Doan, N. T. Tran, T. A. Le and T. V. Nguyen: Veganism, bone mineral density, and body composition: a study in Buddhist nuns, in: Osteoporosis International 20 (2009), H. 12, 2087–2093.
2 http://www.garvan.org.au/news-events/news/vegan-buddhist-nuns-have-same-bone-density-as-non-vegetarians.html [30.03.2011].
3 Duo Li: Chemistry behind Vegetarianism, in: Journal of Agricicultural Food Chemistry 59 (2011), 777–784.
4 Das ist bei ihm Anm. 36, vgl. Li 2011, a.a.O., 779,2. Es handelt sich um: Duo Li, Madeleine Ball, Melinda Bartlett und Andrew Sinclair: Lipoprotein(a), essential fatty acid status and lipoproteinlipids in female Australian vegetarians, in: Clinical Science 97 (1999), 175–181.
5 Bei ihm Anm. 37, vgl. Li 2011, a.a.O., 780,1. Es handelt sich um: M.S. Rosell, Z. Lloyd-Wright, P.N. Appleby, T.A. Sanders, N.E. Allen, T.J. Key: Long-chain n-3 polyunsaturated fatty acids in plasma in British meat-eating, vegetarian, and vegan men, in: American Journal of Clinical Nutrition 82 (2005), H. 2, 327–334.
6 Bei ihm Anm. 35, vgl. Li 2011, a.a.O., 779,2. Es handelt sich um: D. Li, A. Sinclair, N. Mann, A. Turner, M. Ball, F. Kelly, L. Abedin, A. Wilson: The association of diet and thrombotic risk factors in healthy male vegetarians and meat-eaters, in: European Journal of Clinical Nutrition 53 (1999), H. 8, 612–619.
7 Bei ihm Anm. 38, vgl. Li 2011, a.a.O., 780,1. Es handelt sich um: M. Kornsteiner, I. Singer, I. Elmadfa: Very low n-3 long-chain polyunsaturated fatty acid status in Austrian vegetarians and vegan, in: Annals of nutrition & metabolism 52 (2008), H. 1, 37–47.
8 Rianne Baatenburg de Jong, Jolita Bekhof, Ruurdjan Roorda and Pieter Zwart: Severe nutritional vitamin deficiency in a breast-fed infant of a vegan mother, in: European Journal of Pediatrics 164 (2005), H. 4, 259–260.
9 Lierre Keith: The Vegetarian Myth. Food, justice, and sustainability, Flashpoint Press, Crescent City (CA) 2009, 181.
10 P.C. Dagnelie, J.V.R.A. Vergote, W.A. van Staveren WA: High Prevalence of Rickets in Infants on Macrobiotic Diets, in: American Journal of Clinical Nutrition 51 (1990), 201–208.
11 Keith, a.a.O., 241.
12 Klaus Leitzmann, Markus Keller, Andreas Hahn: Alternative Ernährungsformen, 2. überarb. Aufl., Stuttgart 2005, in dieser Reihenfolge: ayurvedisch: 43f. – Makrobiotik: 72, 78 – Rohkost: 124f., 130 – anthroposophisch: 81 (Rudolf Steiner zitierend mit den Worten: "Ich sage überhaupt niemals einem Menschen, ob er den Alkoholgenuß unterlassen soll oder ob er den Alkohol trinken soll, ob er Pflanzen essen oder Fleisch essen soll, sondern ich sage zu dem Menschen: der Alkohol wirkt so und so. Ich stelle ihm einfach dar, wie er wirkt, dann mag er sich entschließen zu trinken oder nicht. Und so mache ich es schließlich auch beim Pflanzen- und Fleischessen.").
13 Charlotte G. Neumann, Nimrod O. Bwibo, Suzanne P. Murphy, Marian Sigman, Shannon Whaley, Lindsay H. Allen, Donald Guthrie, Robert E. Weiss, and Montague W. Demment: Animal Source Foods Improve Dietary Quality, Micronutrient Status, Growth and Cognitive Function in Kenyan School Children: Background, Study Design and Baseline Findings, in: Journal of Nutrition 133 (2003), H. 11, 3941–3949.
14 In vielen Artikeln zitiert, u.a. http://www.healthylivingnyc.com/article/117 [01.04.2011].
15 Vgl. Neumann et al. 2003, a.a.O., 3944,1, Tab. 1.
16 Dazu kommt auch die fragliche Objektivität. Abgesehen von ihrer Verbindung zum Landwirtschaftsministerium wurde diese Studie gefördert von – Überraschung – dem GL-CRPS ("Global Livestock Collaborative Research and Support Program") und von der "National Cattleman’s Beef Association", vgl. Neumann et al. 2003, 3941,1, Anm. 2.
17 Der Vorsitzende der Gruppe "vegane gesellschaft e.v." sagte einer Tageszeitung: "Ich finde es wichtig den Leuten zu sagen, dass sie kein synthetisches Vitamin B12 nehmen sollen, sondern aktives B12, das wirklich auch im Speicher landet."* Das ist irreführend, denn "synthetisches" B12 (meist Cyanocobalamin) ist immer aktives, wohingegen "natürliche" pflanzliche Quellen, die propagiert werden,** oft inaktives B12 (Analoga) beinhalten. Näheres siehe hier.
*) http://blogs.taz.de/tischgespraech/2011/03/14/man_muss_den_menschen_reinen_wein_einschenken/ [14.02.2011].
**) "Vegane Rohköstler_innen, die auch Wildpflanzen verzehren und ihre Nahrung nie über 42° C erhitzen, leiden jedenfalls so gut wie nie unter einem B12-Mangel." (http://www.vegane-gesellschaft.org/2011/02/13/vegane-gesellschaft-deutschland-antwortet-auf-den-artikel-in-der-suddeutschen-zeitung/ [15.03.2011]). Aussagen darüber, wieso Wildpflanzen B12 enthielten und in welcher Menge, und eine Plausibilisierung für die Behauptung, Rohköstler bekämen keinen B12-Mangel, finden sich dort, wie zu erwarten, nicht.
Andere Nachweise
Agence France-Presse-Meldung: 02.09.2009, http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jCeqkrlehJr_1Je2x5wCgH8MBF_g [30.03.2011].
n-tv-Artikel: 02.09.2009, http://www.n-tv.de/wissen/koerpergeist/Veganer-mit-schwachen-Knochen-article393972.html [30.03.2011].
opposingviews.com-Artikel: 06.06.2009, http://www.opposingviews.com/i/vegetarian-diet-leads-to-lower-bone-density [30.03.2011].
experto.de-Artikel: 10.02.2011, http://www.vnr.de/b2c/gesundheit/krankheiten/herz/haben-veganer-ein-schwaches-herz.html [10.02.2011].
diabetes-ratgeber.net: 03.03.2011, http://www.diabetes-ratgeber.net/Herzinfarkt/Vegane-Ernaehrung-schlecht-fuers-Herz-103337.html [03.03.2011].
SZ-Artikel: 03.02.2011, http://www.sueddeutsche.de/wissen/vegane-ernaehrung-auf-zu-viel-verzichtet-1.1055074 [11.02.2011].
dpa-Meldung: 11.02.2011, http://www.n-tv.de/wissen/Veganer-muessen-vorbeugen-article2591451.html [11.02.2011].
ap-Meldung: http://de.news.yahoo.com/050303/12/4fxt2.html [04.03.2005, nicht mehr online, Text hier].
Stuttgarter-Zeitung-Artikel: 03.03.2005, http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/886304 [04.03.2005, nicht mehr online, Text hier].
Oberösterreichischen-Nachrichten-Meldung: 05.03.2005, http://www.nachrichten.at/leben/339051?PHPSESSID=baaf46b1d63d21b08f3b9812c160b7b4 [05.03.2005, nicht mehr online, Text hier].
Foto Brokkoli: altaripa.sabine / Flickr / CC BY-NC-SA 2.0
Foto Brot: adactio / Flickr / CC BY 2.0
Foto Kind: TKnoxB / FLickr / CC BY 2.0
Letztes Jahr machte die Nachricht die Runde, dass Schweine mit Spiegeln umgehen können.1 Sie konnten sie dazu benutzen, um Nahrung zu finden, die nur im Spiegel zu sehen war, ohne das Spiegelbild für real zu halten oder zu ignorieren. Seitdem wird ihnen der Besitz von Bewusstsein, wenn auch noch nicht von Selbstbewusstsein zugestanden. Damit ihnen Selbstbewusstsein attestiert würde, müssten sie den Spiegeltest bestehen. Das ist ein Test aus der Verhaltens- und Kognitionsforschung, bei dem die Versuchstiere mit einem farbigen Punkt auf der Stirn oder dem Hals markiert werden. Ihnen wird ein Spiegel gegeben und wenn sie mithilfe des Spiegels diese Markierung näher betrachten und sie zu berühren versuchen, beweise das, dass sie ein Bewusstsein davon haben, dass das Spiegelbild sie selbst darstellt. Tiere, die das Spiegelbild ignorieren oder es für ein anderes Tier halten, haben den Test nicht bestanden. Nur einige Arten der Affen, Delfine und Krähenvögel bestehen bisher diesen Spiegeltest. Alle anderen Spezies gelten nicht als sich selbst bewusst.
Während wiederholt damit argumentiert wurde (und wird), nichtmenschliche Tiere verdienten keine Rechte, weil sie – anders als Menschen – kein Selbstbewusstsein besäßen, hat diese Entdeckung den Affen und den anderen Spezies in der Praxis bisher wenig genützt. Affen sterben in Labors, Delfine im Fischfang und Krähen als "Schädlinge". Auch den Schweinen hat das Zugestehen eines Bewusstseins nichts gebracht. Weiterhin werden über 50 Millionen jedes Jahr allein in Deutschland getötet. Hunde, die in dieser Hinsicht nicht so intelligent sind wie Schweine, werden dagegen meistens verhätschelt. Gegen diesen Test und die Selbsterkenntnis als Kriterium für ethische Berücksichtung spricht aber nicht nur seine offenkundige Wirkungslosigkeit auf das ethische Verhalten der Menschen – oder genauer gesagt, seine einseitige Wirkung: denn zum Absprechen von Rechten reicht es offenbar –, sondern auch mehrere methodische Schwächen.
Eine aktuelle Studie unter der Leitung von Luis Populin hat erneut diese Schwächen und die Fehlerhaftigkeit des Tests belegt.2 Bei Makaken (Rhesusaffen) ging man bisher davon aus, dass sie kein Selbstbewusstsein besäßen, da sie den Spiegeltest nicht bestanden. Das passte ins Weltbild, denn Menschenaffen (Primaten) wie Schimpansen oder Orang-Utans bestehen den Test, Makaken gehören dagegen nicht zu den Primaten, sondern zu den "weniger hoch entwickelten" Affenarten. Bei dem Experiment von Populin, das eigentlich nicht diese Fähigkeit untersuchen sollte, haben die Makaken Elektroden, die auf ihrem Kopf befestigt wurden, mithilfe eines Spiegels näher betrachtet, das Fell darum gesäubert und teilweise den Spiegel in die Hände genommen und so gehalten, dass sie sich besser betrachten können. Dass sie beim klassischen Markierungstest durchgefallen sind, hat zu einer falschen Schlussfolgerung über ihre Fähigkeit zu Selbsterkenntnis geführt, die sie, wie man nun weiß, doch besitzen.
Damit plädiere ich jedoch nicht dafür, dass man den Test nur verfeinern und weiterhin anwenden sollte, denn das gesamte Konzept ist an sich fehlerhaft. Genauer gesagt, es ist anthropozentrisch. Während Menschen ca. 80 Prozent ihrer Sinneswahrnehmung über die Augen beziehen, sind andere Spezies nicht so stark auf den visuellen Sinn fixiert. Die Wiedererkennung mit einem Spiegel zu testen ist rein visuell und bei Menschen daher sinnvoll. Bei Hunden spielt dagegen der Geruchssinn eine größere Rolle, bei Katzen das Gehör usw. Manche Spezies sind (visuell) praktisch blind, wie Maulwürfe und Fledermäuse. Sie würden schon aus formalen Kritieren diesen Test nie bestehen können. Würde die Fähigkeit der Selbsterkenntnis bei Menschen durch Gerüche, Geräusche oder – analog zu Fledermäusen – über Ultraschall bestimmt, würden Menschen oft, im letzten Fall grundsätzlich, durchfallen.
Man könnte nun einwenden, dann solle man für Hunde eben einen Geruchstest entwickeln, für Katzen eine Hörtest usw. Gegen den Versuch einer weiteren Verbesserung spricht Makaken-Experiment. Denn obwohl Makaken, was ihre Fixierung auf das Visuelle betrifft, dem Menschen und anderen Menschenaffen, die den klassischen Markierungstest bestehen, sehr ähnlich sind, hat der visuelle Test zu einem falschen Ergebnis geführt. Wie der Studienleiter (der sich letztlich trotzdem für die Verbesserung des Tests ausspricht) sagt: "Denn es scheint möglich, dass diese Tiere über ein Bewusstsein ihrer selbst verfügen, das sich von unserem Ich-Bewusstsein unterscheidet […]." Mit einem an der menschlichen Form des Selbstbewusstseins ausgerichteten Test kann man nichtmenschlichen Tieren nicht gerecht werden.
Anthropozentrisch ist es auch in einer zweiten Hinsicht. Es wird im Zusammenhang mit dieser Art von Test behauptet, dass nichtmenschliche Tiere nur dann Rechte erhalten sollten, wenn ihre Fähigkeiten den Fähigkeiten von Menschen ähnlich sind. Umso ähnlicher sie sind, umso mehr Rechte sollten sie haben. Das Problem ist, dass diese Denkweise weiterhin speziesistisch ist. Vergleichen wir es mit Rassismus: In südamerikanischen Ländern gibt es Diskriminierungen aufgrund der Hautfarbe, die Abstufungen kennt. Hier gibt es durch das Nebeneinander von Schwarzafrikanern, Weißen und Eingeborenen viele sog. Mulatten und Menschen mit anderen Mischungen der Hautfarbe. Rassismus tritt dadurch auf, dass die Menschen teilweise nach ihrer "Hellhäutigkeit" bewertet werden: umso heller die Hautfarbe, desto besser. Das ist Rassismus mit Abstufung, aber es ist immer noch Rassismus. Die Aufwertung nichtmenschlicher Tiere nach dem Grad ihrer Übereinstimmungen mit Menschen ist analog dazu weiterhin speziesistisch. Es schafft nur neue Hierarchien, statt die alten abzubauen.
Auch bewerten wir die Grundrechte von Menschen nicht nach ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Wir bewerten andere Rechte in dieser Weise und dies ist berechtigt. Kleinkinder, die bis zu einem gewissen Alter, und geistig behinderte Menschen, die ab einer gewissen Schwere der Behinderung, nicht die Fähigkeit der Selbsterkenntnis bzw. keine höhere Rationalität besitzen, haben beispielsweise kein Wahlrecht oder kein Recht auf höhere Schulbildung, da ihnen die kognitiven Fähigkeiten, diese wahrzunehmen, fehlen. Der Besitz der Grundrechte dagegen ist dieses Kriterium irrelevant. Man darf sie nicht als Organspender oder Versuchsobjekte missbrauchen, nur weil sie sich nicht im Spiegel erkennen oder die Zukunft planen können. Genauso sollten auch nichtmenschliche Tiere nicht nach ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis oder ähnlichen Kriterien bewertet werden. Denn die Ungleichbehandlung in diesem Punkt wäre speziesistisch, es hieße, gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, auf dem jede Ethik beruht. Genauso wie Menschen ohne die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis Grundrechte (wie das Recht auf Leben) haben, darf man auch nichtmenschlichen Tieren konsequenterweise elementare Rechte nicht absprechen, wenn sie diese Fähigkeit nicht besitzen. Trotz der Abstufungen – Makaken können sich im Spiegel erkennen, Schweine können Spiegel benutzen, Hühner weder das eine noch das andere – haben alle diese Tiere das gleiche Grundinteresse, nicht als Ressource gebraucht zu werden. Und das ist letztlich Grund genug, um sie auch nicht so zu behandeln.
Ein Spiegel sollte das bleiben, was er ist: ein nützlicher Gegenstand, nicht die Grenze zwischen Leben und Tod.
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1 Donald M. Broom, Hilana Senaa and Kiera L. Moynihana: Pigs learn what a mirror image represents and use it to obtain information, in: Animal Behaviour Jg. 78 (2009), Nr. 5, 1037-1041.
2 Jan Lauwereyns, Abigail Z. Rajala, Katharine R. Reininger, Kimberly M. Lancaster, Luis C. Populin. Rhesus Monkeys (Macaca mulatta) Do Recognize Themselves in the Mirror. Implications for the Evolution of Self-Recognition, Vorabveröffentlichung: PLoS ONE (2010), 5 (9): e12865, DOI: 10.1371/journal.pone.0012865.
Man kann Tierrechte und das daraus resultierende persönliche Verhalten – die vegane Lebensweise – theoretisch begründen. Die Grundlage ist, vereinfacht gesprochen, auf der einen Seite das Gleichheitsprinzip (gleiche Berücksichtigung gleicher Interessen), dessen Einschränkung auf die menschliche Spezies aufgehoben wird, da es keine signifikanten ethischen Unterschiede zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren (die ein Bewusstsein haben) und damit keine Rechtfertigung für diese Einschränkung gibt. Auf der anderen Seite ist es die Überzeugung, dass Leid vermieden werden soll, wenn es vermieden werden kann, da Leid als etwas genuin Schlechtes betrachtet wird.
Genau genommen ist Letzteres jedoch keine rein geistige Überzeugung, sondern ein Instinkt. Der Widerwillen, der bei der Beobachtung, wie einem anderen empfindungsfähigen Lebewesen Leid zugefügt wird, entsteht, ist die Empathie. Wie alle Instinkte, wird auch Empathie durch die Sozialisation in den gesellschaftlichen Rahmen eingepasst. Im Fall von Empathie für andere Tiere ist die gesellschaftliche Dominante der Speziesismus. Diese Einpassung bedeutet, dass gelernt wird, die instinktive Empathie bei nichtmenschlichen Tieren zu unterdrücken.
Italienische Forscher haben nun nachgewiesen, dass bei Rassisten der Instinkt der Empathie unterdrückt wird. 1 Was Sozialpsychologen bereits vermutet haben – dass Rassismus mit einem Mangel an Einfühlungsvermögen einhergeht – wurde durch die Studie neuropsychologisch belegt. Während Menschen normalerweise automatisch mitleiden, wenn sie sehen, wie einem anderen Menschen Leid zugefügt wird, unterbleibt diese Reaktion (wie durch Messung und Vergleich der Hirnaktivitäten und von Muskelreaktionen festgestellt wurde), wenn die leidende Person die "falsche" Hautfarbe hat. Der Forschungsleiter sagt dazu: "Die automatische Muskelreaktion zeigt menschliche Anteilnahme am Leiden Fremder, zumindest solange sie nicht mit vorurteilsbehafteten Stereotypen belegt sind."
Was für Rassismus gilt, gilt (mutatis mutandis) auch für andere Diskriminierungsformen, in diesem Fall den Speziesismus. Wenig überraschend hat so auch eine neue Studie mit neurologischen Untersuchungen bestätigt, dass die Gehirnregionen für Empathie bei Veganern beim Anblick auch von tierlichem Leiden stärker aktiviert werden als bei Omnivoren. 2 Die Schlussfolgerung ist simpel: Menschen, die nicht (mehr) mit den vorurteilhaften Stereotypen gegenüber (nichtmenschlichen) Tieren behaftet sind, zeigen ihnen gegenüber wieder eher das ursprüngliche Maß an Empathie.
Ursprünglich deshalb, weil Kinder die Fähigkeit zu vorurteilsloser Empathie noch besitzen. Sie empfinden sie auch beim Anblick von Leid, das nichtmenschlichen Tieren zugefügt wird, weil sie das speziesistische Vorurteil, nichtmenschliche Tiere seien weniger wert als Menschen und könnten daher fraglos anders behandelt werden, noch nicht übernommen haben. Oder wie Freud es in Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse formulierte:
Das Kind empfindet keinen Unterschied zwischen dem eigenen Wesen und dem des Tieres; es läßt die Tiere ohne Verwunderung im Märchen denken und sprechen; es verschiebt einen Angstaffekt, der dem menschlichen Vater gilt, auf den Hund oder auf das Pferd, ohne damit eine Herabsetzung des Vaters zu beabsichtigen. Erst wenn es erwachsen ist, wird es sich dem Tiere soweit entfremdet haben, daß es den Menschen mit dem Namen des Tieres beschimpfen kann. Seine späteren Erwerbungen vermochten es nicht, die Zeugnisse der Gleichwertigkeit zu verwischen, die in seinem Körperbau wie in seinen seelischen Anlagen gegeben sind.3
Was Freud hier noch (vielleicht ganz ohne Absicht) im Aktivsatz formulierte – das Kind entfremdet sich – ist tatsächlich die Einwirkung von außen, die der Sozialisation. Massive Indoktrination wird nicht nur von der Tierausbeutungsindustrie betrieben und vom Staat durch "Schulmilchprogramme" gefördert. In den Lehrplänen der Schulen sieht es entsprechend aus: Kinder lernen, dass Kühe Milch "geben", und lernen nicht, was mit den Kälbern, für die diese Milch gedacht ist, geschieht. Auch die Eltern handeln oftmals nicht anders, nicht zuletzt um ihr eigenes Weltbild nicht zu stören. Die Eigeninitiative von Kindern und Jugendlichen eine vegane Lebensweise anzunehmen, wird vorzugsweise durch die Ammenmärchen drohender Mangelerscheinungen be- oder verhindert.
Auf der Alltagsebene wirkt sich die Distanz zum "Produktionsprozess" von Tierprodukten zuungunsten der Tierausbeutung aus. Tier"farmen" und Schlachthäuser liegen weit außerhalb der Städte und die Tierleichen werden bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und sauber in Folie eingepackt. Dadurch fehlt die "Sensibilisierung für das Tier als Nutzobjekt" und die Verbraucher reagieren auf "Tierschutz-Skandale" mit kurzzeitigem Nachfragerückgang. Kurzzeitig - bis die speziesistische Normalität wieder hergestellt ist.
Während das Töten der Tiere früher noch präsenter war, "fehlt" heute zunehmend die Abstumpfung gegenüber Gewalttaten gegen Tiere. Die rhetorische Frage "Du kommst aus der Stadt oder?" als Antwort auf geäußerte Kritik an Tierausbeutung, hätte in Bezug auf Rassismus vor ein paar Hundert Jahren in den USA ihre Entsprechung in der Frage "Du kommst aus den Nordstaaten oder?" gehabt. Die natürliche Empathie lässt sich nicht so einfach abschalten, sie muss aufwändig unterdrückt werden. Die Schlachthofsmauern können jedoch nicht mehr höher gebaut werden und so ist die zunehmende Medialisierung und dadurch schnellere und bessere Verbreitung von Informationen, der Anfang vom Ende der Tierausbeutungindustrie.
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1 Alessio Avenanti et al.: Racial Bias Reduces Empathic Sensorimotor Resonance with Other-Race Pain, in: Current Biology 20 (2010), Nr. 11.
2 Filippi M, Riccitelli G, Falini A, Di Salle F, Vuilleumier P, et al. (2010) The Brain Functional Networks Associated to Human and Animal Suffering Differ among Omnivores, Vegetarians and Vegans. PLoS ONE 5(5): e10847.
3 Sigmund Freud: Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. XI, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1966, S. 7f.
Die Welt ist voller Unwissenheit. Was Veganismus anbelangt, befinden wir uns im finstersten Mittelalter, in dem die Menschen sich fürchten, vom Rand der Welt zu fallen, obwohl schon viele Jahrhunderte zuvor der Radius des Globus mit erstaunlicher Genauigkeit erfaßt wurde. Der von der Kirche geschürten Angst vor Hexerei entspricht der von der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie genährte Aberglaube an magische Stoffe in tierlichen Produkten, ohne deren Präsenz der Fluch angeblicher Mangelerscheinungen heraufbeschworen wird.1
Diese Unwissenheit abzubauen, hat sich bisher nur die American Dietetic Association (ADA) bemüht, die 2003 und 2009 durch die Auswertung einer Vielzahl an Studien die vegane Ernährung als für jedes Lebensalter geeignet bezeichnete. Der Rest der Ernährungswissenschaft fürchtet immer noch, am Rand hinabzufallen, wenn sie das Offensichtliche bestätigen müsste. Nicht selten stimmt auch die Presse in dieses Konzert ein, indem sie für den Veganismus positive Ergebnisse aus Studien solange verdrehen, bis sie negativ aussehen. Das muss mit keiner Verfälschung einher gehen – das Positive zu marginaliseren und das Negative herauszustellen erzielt bereits den gewünschten Eindruck.
Das Wissen um die Kugelgestalt der Erde, das seit der Antike bekannt war, war auch im Mittelalter nicht verschwunden, sondern wurde aus machtpolitischen Gründen unterdrückt. Nicht viel anders sieht es mit dem Verhältnis von Ernährungswissenschaft und Veganismus aus, denn bereits 1967 wurde ein durchweg positiver und am Ende proveganer Artikel veröffentlicht. "Ernährungszustand bei Veganern und Vegetariern" von F. R. Ellis und Pamela Mumford 2 ist eine eigene Studie und zugleich eine Auswertung bisheriger Studien. Die Fragestellung lautete hier, wieweit diese beiden Ernährungsformen 3 eine adäquate Nährstoffversorgung gewährleisten können. Die Definition von Veganer schloss übrigens auch damals, wie hier wörtlich erwähnt wird, schon die Vermeidung von tierkohleraffiniertem Zucker mit ein, genauso wie Margarine mit einem Vitaminzusatz, der unvegan ist ("white sugar clarified with bone charcoal, or margarine fortified with vitamin A from animal sources").
Die Auswertung von drei früheren Studien, die zwischen 1954 und 1967 erhoben worden waren, sowie die eigene Studie, habe erwiesen, so die Autoren, dass "vegane Ernährung, die unbehandelte Getreideprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Gemüse und Früchte umfasst, keine erkennbaren Mangelerscheinungen hervorruft" und lediglich Vitamin B12 supplementiert werden sollte. Es wäre erwiesen, dass "die durchschnittliche Nährstoffaufnahme die empfohlenen Tagesdosen erfüllt". Bei der Nährstoffanalyse der Studien (zwischen Veganern, Vegetariern und Omnivoren) waren die Werte für Eisen und Thiamin (Vitamin B1) bei Veganern zudem höher als bei Omnivoren. Und auch wenn die Protein-Aufnahme geringer war, konsumierten Veganer "einen angemessenen Anteil verwendbaren Proteins". 4 Beim Vitamin B12 lautete das Ergebnis der eigenen Studie, dass die Veganer keinerlei Anzeichen für einen Mangel zeigten (wobei die Autoren vermuten, dass angereicherte Produkte konsumiert wurden).
Abschließend stellten sie fest:
Aus unserer Studie mit Veganern zeigt sich eindeutig, dass diese Ernährung einen befriedigenden Nährwert für Erwachsene garantiert, vorausgesetzt, es wird Vitamin B12 supplementiert, wenngleich es interessant wäre, eine weitere Studie mit veganen Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Miller (1963) hat nämlich gezeigt, dass es möglich ist, mit ausschließlich pflanzlichen Bestandteilen Säuglingsnahrung mit NApCal 8%[5] herzustellen, die damit die Anforderungen [an Säuglingsnahrung] erfüllt.
Die Berücksichtigung dieser Ergebnisse ist für das Welternährungsproblem[6] relevant, da weit höhere Nährstoff-Erträge pro Flächeneinheit durch Gemüsekulturen erzeugt werden als durch Tierhaltung (Tabelle 3) und die Erträge pro Arbeitsstunde folgen einem ähnlichen Schema.
Miller & Mumford (1966) fanden heraus, dass die günstigste Nahrung, um die täglichen Dosen von drei oder mehr 'Schlüssel'-Nährstoffen (Kalorien, Protein, Kalzium, Eisen, Vitamin A und Vitamin C) bereitzustellen, Mehl, Brot, Haferflocken, Kartoffeln, Bohnen, Möhren, Kohl, Spinat und Wasserkresse sind.
Das bedeutet auch, bereits vor knapp 50 Jahren wurde festgestellt, dass auch vegane Säuglings- bzw. Kinderernährung höchstwahrscheinlich kein Problem darstellt. Dennoch gibt es noch im Jahr 2010 Ärzte, die von veganer Kinderernährung abraten. Das geschieht meistens durch solche Personen, die nicht einmal wissen, was Veganismus überhaupt ist und am liebsten auch keine einzige Studie durchgeführt oder sich vorhandene angesehen haben. Das hält sie schließlich nicht davon ab, ablehnende Pauschalurteile zu fällen.
So wie trotz der Kenntnis der Kugelgestalt der Erde im Mittelalter die Fehlinformation der Scheibengestalt aus politischen Gründen verbreitet wurde, ist die heutige Ernährungswissenschaft nicht weniger politisch. Während sehr vielen Menschen bekannt ist, dass Veganer eine niedrige Vitamin-B12-Aufnahme haben könnten (und bei nicht wenigen Menschen ist das das einzige, was sie über Veganismus wissen), ist praktisch unbekannt, dass Veganer grundsätzlich gute Werte bei einem anderen Vitamin, der Folsäure oder Vitamin B9, haben, obwohl die Durchschnittsbevölkerung viel zu wenig Folsäure aufnimmt. 7 Dennoch gibt es etliche Studien zum B12-Status bei Veganern, aber kaum Studien zum B9-Status. Nicht zuletzt deshalb, da man hier gezwungen wäre, etwas Positives über Veganismus zu sagen. Ähnlich unbekannt ist die gute Eisenversorgung (wie die o.g. Studienauswertung zeigte, war das schon vor knapp 50 Jahren bekannt), dennoch wird von der schlechteren Eisenversorgung der Vegetarier unhinterfragt auf Veganer geschlossen.
Diese gezielte Nicht- und Fehlinformationen dienen der Aufrechterhaltung des Dogmas des ungesunden Veganismus. Solange das besteht, haben die Unveganer immer eine gute Ausrede zur Hand, sich nicht mit der ethischen Dimension ihres Verhaltens auseinandersetzen zu müssen. Dass in einer speziesistischen Gesellschaft die Ernährungswissenschaft (bis auf Ausnahmen) einen entscheidenden Teil zu dieser Aufrechterhaltung beiträgt, versteht sich.
Aus der Geschichte zu lernen ist ratsam, um gleiche Fehler nicht zu wiederholen. Manche der heutigen Ernährungswissenschaftler sind die Kleriker der Gegenwart, die Fakten ignorieren, die seit langer Zeit bekannt sind. Veganismus darf nicht möglich und gesund sein, da das die eigene Ideologie beeinträchtigen würde. Es bleibt zu hoffen, dass es neben den obigen Autoren und der ADA mehr werden, die solchen Kräften entgegensteuern und sich nicht scheuen, das etablierte Weltbild zu verändern.
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1 http://veganismus.de/intro.html [27.04.2010].
2 "The nutritional status of vegans and vegetarians", in: Proceedings of the Nutrition Society 26 (1967), S. 197-205.
3 Wobei Veganismus genau genommen natürlich keine Ernährungsform, sondern ein Lebensstil ist
4 Im englischsprachigen Raum ist der Protein-Mythos (Veganer hätten irgendwelche Versorgungsprobleme bei Proteinen) wesentlich stärker verbreitet als im deutschsprachigen.
5 Das ist eine Angabe für Proteinqualität. Der hier genannt Wert entspricht dem menschlicher Muttermilch.
6 Erst ab dieser Zeit stieg die Weltbevölkerung exponential an (die Zahl von vier Milliarden wurde "erst" 1980 erreicht). Gleichzeitig gab es erst seit knapp zwanzig Jahren "Massentierhaltung" im heutigen Sinne. Bis heute ist es bekanntlich nicht besser geworden, immer mehr pflanzliche Nahrung wird in der Tierausbeutungsindustrie verschwendet, während der Welthunger zunimmt.
7 http://www.bfr.bund.de/cd/8899#a8906 [27.04.2010].
Wieder haben die Tierschützer einen Erfolg zu feiern. Diesmal geht es aber nicht darum, daß Tiere in größeren Käfigen oder einer sauberen Umgebung ausgebeutet werden, sondern die Anzahl der Tierversuche für einen speziellen Test wurde reduziert, wofür es natürlich gleich einen Tierschutzpreis zu verleihen gab.
Die Wissenschaftler entwickelten ein Testsystem für die Gentherapie bei schweren Immundefekten oder Stoffwechselerkrankungen, das eine Vielzahl von Tierversuchen überflüssig macht. Waren vorher hundert Mäuse für eine Testreihe nötig, ist jetzt nur eine einzige notwendig. (Quelle)
Und auch wenn es langsam zu einer ständigen Wiederholung wird, kann man es nicht oft genug sagen (und hoffen, das Wiederholen wirkt sich bei den Betreffenden positiv auf den Lernprozeß aus): solcher reformistischer Tierschutz wird nie zur Abschaffung der Tierausbeutung führen.
Dabei sind es nichts anderes als die eigennützigen finanziellen Überlegungen, die zu solchen Veränderungen führen. Es ist schlichtweg billiger, weniger Tiere für das gleiche Ergebnis umzubringen und den verbleibenden Opfern hilft das genauso viel wie dem Gesamtfortschritt: nämlich gar nichts. Dabei wären auch in diesem Fall diese Tierrechtsverletzungen keineswegs nötig, denn auch hier wie sonst gilt, daß eine vegane Gesellschaft heute schon möglich wäre.
Die Tierschützer mit ihrem Reformismus aber helfen genau diese zu verhindern. Genauso wie Pseudo-Tierrechtsorganisationen mit ähnlichen Ambitionen. So kann man auch in diesem Fall nur wiederholen: das einzige, was den Tieren wirklich hilft, ist die völlig Abschaffung und nicht, wie es in einem anderen Artikel dazu heißt, die "Belastung" für die in den Tierversuchen eingesetzten Tiere "zu vermindern" oder "ihre Zahl zu verringern". Und erst dann – man achte auf die Bände sprechende Reihenfolge – heißt es dort: "oder sie ganz zu ersetzen".
Was passiert, ändert man das System ohne die Menschen zu ändern (in diesem Fall: sie zum Veganismus zu führen), zeigte sich bereits mehr als deutlich am Beispiel des Rassismus. Nachdem die Sklaverei in den USA aus wirtschaftlichen, statt ethischen Gründen, beendet wurde, waren die betreffenden Menschen zwar formal keine Gefangenen mehr, aber der Rassismus und damit die Diskriminierung dieser war noch hundert Jahre lang Teil der offiziellen Staatspolitik und ist bis heute in den Köpfen der Menschen ein fester Bestandteil, der sich entsprechend regelmäßig auch in Taten äußert.
Betreibt man heute Reformismus oder ersetzt 'echte' durch künstliche Leichenteile, wird sich das immer nur auf diese kleinen, eingeschränkten Bereiche auswirken (und das nicht einmal positiv) und prädestiniert damit der Abschaffung des Speziesismus eine ähnliche Entwicklung.
Die Tierschützer (denen es angeblich wirklich um die Tiere geht) könnten statt dessen natürlich auch Tierrechte betreiben und Veganismus propagieren, aber das würde voraussetzen, sie hätten die Sache wirklich begriffen oder gar aus der Geschichte gelernt. Doch das ging nun wirklich zu weit.
"In-vitro-Fleisch" (auch: "Kunstfleisch") ist tierliches Muskelgewebe, das nicht in Tieren gewachsen ist, sondern im Labor in einem Nährmedium. Diese Methode "Fleisch" herzustellen wird vor allem von Tierschützern, aber auch von manchen Tierrechtlern als zukunftsweisende Alternative gesehen, da der "Fleisch"-Nachfrage gedeckt werden könne, ohne Tiere zu züchten und zu schlachten.
Dieser Enthusiasmus allerdings ist verfrüht, denn weder ist das Produkt vegan, noch eignet es sich als Überzeugungshilfe für den Veganismus.
Vegan ist es nicht, da das Ausgangsmaterial von Tieren entnommen wird. Bisher ist es auch eine reine Wunschvorstellung, daß eine Zellkultur weiterbenutzt werden könnte. Es müssen also immer wieder neue Zellen von Tieren entnommen werden und selbst wenn das ohne direkte Schädigung der Tiere erfolgen könnte, müßten die Tiere weiterhin "gehalten", d.h. eingesperrt werden. Darüber hinaus ist auch das Nährmedium, in dem die Zellen wachsen, unvegan, so besteht es zum Teil aus Blut von Kälbern ("fötales Kälberserum"). Eine pflanzliche Alternative gäbe es wohl, sie ist aber nochmals wesentlich teurer.
Als Überzeugungshilfe eignet es sich nicht, da es keine Überzeugungsarbeit leistet. Anstatt die Menschen von der ethischen Verwerflichkeit der Ausbeutung von Tieren zu überzeugen, werden ihnen Ersatzprodukte vorgesetzt, sodaß sie leicht in den Glauben verfallen, sie müßten sich nicht ändern, sondern die Gesellschaft habe sich darum zu kümmern, ihre Tierausbeutungsprodukte zu ersetzen (ob so oder mit vermeintlich schmerzunempfindlichen Tieren). Und beim "Fleisch" endet die Ersatzleistung bereits. Niemand also auf die Idee kommen, Tiermilch, "Honig" oder Eier durch Alternativen zu ersetzen, oder nicht mehr in " Zoo" oder " Zirkus" zu gehen. Viel eher ist zu erwarten, daß sich durch diesen "Verzicht" auf die Ermordung von Tieren für "Fleisch", die Person ein gutes Gewissen gegenüber ihren sonstigen, tierausbeutenden Lebensweise bekommt und dadurch am Ende mehr andere Tierprodukte konsumiert und unter Umständen mehr Tierleid verursacht als zuvor.
Auch aus tierrechtsstrategischer Sicht sollte man es gut überdenken, ob eine Bewerbung solcher Dinge sinnvoll ist. Es ist nicht nur unvegan und kann zu einer Gewissenberuhigung führen, die außerdem bereits heute einsetzen kann, wenn der entsprechende Unveganer einen "Verzicht" für unnötig hält, da er nur darauf warten müsse, bis die Forschung das Problem für ihn erledigt. Sondern es suggeriert außerdem, daß der "Fleisch"-Konsum das Problem des Unveganismus sei und nicht die Tierausbeutung insgesamt, sodaß ungewollte auch andere Bereiche (wie z.B. Vegetarismus) relativiert werden, obwohl ein Vegetarier unter Umständen mehr Tierleid verursacht als ein "normaler" Unveganer.
Nicht zuletzt wird dieses Thema mit der Tierschutzorganisation Peta assoziiert, da sie für die Erforschung eines solchen "marktfähigen Produktes" ein Preisgeld ausgeschrieben hat, und jedem Tierrechtler sollten die Haare zu Berge stehen bei dem Gedanken, mit diesen Leuten in Verbindung gebracht zu werden.
Anstatt jetzt oder eventuell in Zukunft seine Energie auf die Bewerbung solcher Dinge zu verschwenden, sollte man die Menschen zu einem wirklichen Umdenken bewegen, d.h. vom Veganismus überzeugen. Und Veganismus braucht solche Ersatzprodukte nicht, da es ausreichend abwechslungsreiche vegane Nahrungsmittel gibt, darunter Alternativen wie Tofu, Seitan oder Sojaextrudat.
Klimaveganer seien Veganer, die (analog zu Klimavegetariern) nicht aus tierrechtsethischen Gründen keine Tierprodukte konsumieren, sondern dies aus Gründen des Klimaschutzes tun, meint ein Kommentator der Zeit (Maximilian Grosser, "Durch Fleischverzicht die Welt retten", 28. Juli 2008). Hierbei stellt er deutlich heraus, daß auch diesbezüglich Veganismus dem Vegetarismus ethisch haushoch überlegen ist:
Doch der Gedanke an die Rettung der Welt ist wieder da und zwar viel überzeugender als von den militanten Tierschützern. Eine neuer Typ von Fleischverweigerern entsteht: der Klimavegetarier. [...] Ein Fünftel des weltweiten Ausstoßes von Kohlenstoffdioxid geht laut FAO, der Weltagrarorganisation der UN, auf die Viehhaltung zurück, mehr als das Transportwesen zu verursachen vermag.
Knapp 200 Kilogramm des Klimagases CO2 spart der Klimavegetarier im Jahr durch Fleischverzicht. Der Klimaveganer legt noch eins drauf und vermeidet zusätzlich 450 Kilogramm CO2 durch Verzicht auf Milch und Käse nach Studien des Freiburger Öko-Instituts.
Klimavegetarier und -veganer sind hochgradig politisch. Kein Fleisch oder der generelle Verzicht auf tierische Produkte sichert sie nämlich mehrfach ab. Sie treten für den Tierschutz ein, dem Klima tun sie Gutes und sozial gerecht verhalten sich die Klimavegetarier auch. [...] Würden weltweit mehr Menschen auf Fleisch verzichten, müsste auch kein Regenwald für Weideflächen und Futtermittelanbau mehr vernichtet werden.
(a.a.O, meine Hervorhebungen)
Dennoch gibt es neben der fehlenden tierrechtsethischen respektive antispeziesistischen (und somit in der Regel egoistischen) Motivation einen weiteren negativen Aspekt: Zwar könnte die fleischlose Ernährung die Welt laut Klimavegetarier rein theoretisch retten. Doch bislang taugt sie noch nicht zur Weltrevolution. Denn der Fleischkonsum wird weltweit entgegen aller Vernunft steigen. Die indische und chinesische Gesellschaft kommt beispielsweise gerade erst zu Wohlstand und will Fleisch und Käse. [...]
Doch es gibt Hoffnung für den Klimavegetarier: Dass der Preis für Fleisch bald den steigenden Energiepreisen folgt. Dann wird sich bestätigen, dass der jetzige Fleischkonsum nicht mehr haltbar ist. Der Klimavegetarier wird dann ganz von allein zum Vorbild einer neuen Welt.
(a.a.O, meine Hervorhebungen)
Das Umweltbundesamt (UBA) bestätigt:
"Die rechnerisch einfachste Lösung wäre, wenn alle Menschen sich ab sofort vegan ernähren würden."
Zwar bezieht sich das nicht auf tierrechtsethische Fragen oder Antispeziesismus, sondern Klimaschutz (weil "Die Abgase einer einzigen Milchkuh [...] in etwa so klimaschädlich wie die eines Kleinwagens, der 18.000 Kilometer im Jahr gefahren werde" seien, Stichwort Treibhausgase, v.a. Lachgas auf Gülle und Methan aus dem Verdauungsprozeß von Rindern), und der hier von Spiegel online zitierte "UBA-Experte" Dietrich Schulz behauptet sogleich abschwächend, "dass ein Verzicht auf Viehhaltung die Landwirtschaft existentiell bedrohen würde" (weil Veganer sich ohne Landwirtschaft ernähren, indem sie durch die Wälder streifen und an Baumrinden nagen?) - vermutlich wurde ähnlich auch früher die Sklavenhaltung gerechtfertigt - und empfiehlt einen (tödlichen) "Kompromiss", nämlich "die mediterrane Ernährung. Ein Italiener beziehe nur etwa 25 Prozent seiner täglichen Kalorienaufnahme aus tierischen Quellen, die Deutschen dagegen bei 39 Prozent."
Doch daß die zentrale Umweltbehörde der Bundesrepublik Deutschland und somit ein Bundesministerium (das für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, zu dem das UBA gehört) eingesteht, daß Veganismus die beste Lösung für ein Problem ist, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.
(Quelle aller Zitate: "WWF fordert Steuer auf Kuh-Abgase", Spiegel online, 05. November 2007)
Es stinkt zum Himmel. Selbst auf der Autobahn ist es häufig nicht zu überriechen - was gern als "Düngung" verkauft wird, das Ausbringen von Gülle auf Felder, ist überwiegend Entsorgung, und das mit fatalen ökologischen Folgen etwa für Gewässer und nicht zuletzt das Grundwasser. Schon jetzt wird nach neuen Möglichkeiten gesucht, Scheiße zu Gold zu machen, etwa durch Entwicklung von Aromastoffen aus Exkrementen; und die Ausbreitung der "Vogelgrippe", die erst vor kurzem zu einer Pandemiehysterie geführt hat, wurde nicht etwa durch Zugvögel, sondern primär neben dem Verdealen von Leichen durch den Handel mit Hühnerkot verursacht.
Bemerkenswerterweise wird Veganern einerseits vorgeworfen, das (in der heutigen unveganen Gesellschaft kaum vermeidbare) jauche- oder güllegedüngte Gemüse zu konsumieren, andererseits behauptet, ohne Tierausbeutung gäbe es keine Möglichkeit zu düngen (alternativ: keine Möglichkeit, ohne den "bösen Kunstdünger" auszukommen).
Lassen wir Hobbygärtner, die dem Gießwasser gern einmal Eigenurin zusetzen, beiseite; lassen wir die Frage, inwiefern das Einsammeln von Guano Vögeln grundsätzlich schadet - inzwischen sind durch den Guanoraubbau bereits ganze Pinguinspezies bedroht, und eine Kormoranart der Gattung Phalacrocorax heißt sogar offiziell "Guanokormoran" - ebenfalls beiseite, zumal sowohl Eigenurin als auch Guano weniger für landwirtschaftliche Großproduktion als für Hinterhofrabatten relevant ist (auch wenn Guano - übrigens trotz des Ursprungs ein Kunstdünger - wohl im 19. Jahrhundert eine andere Rolle spielte). Und lassen wir auch dahingestellt, ob sämtliche (veganen) "Kunstdünger" wirklich so viel schädlicher sind als Gülle, wobei die unterschiedlichsten Kunstdünger, also synthetisch hergestellte Dünger, organische wie mineralische, bereits jetzt, ganz ohne antispeziesistischen Hintergrund, massiv in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Ähnlich wird ja auch bezüglich "Leder" pseudoargumentiert, das in Wahrheit, ganz unabhängig von tierrechtsethischen Aspekten, ökologisch um ein vielfaches schädlicher ist als das Material für Schuhe aus Synthetik, von denen ebenfalls nur die wenigsten explizit für Veganer produziert werden.
Natürlich ist es entgegen der Leute mit Gülle im Kopf sehr wohl problemlos möglich, ohne Jauche um sich zu schütten, und auch ohne Hornspäne und Knochen- oder Blutmehl (die zwar nicht aus ethischen Gründen, sondern wegen BSE zumindest hierzulande mittlerweile obsolet sind), mehr als ausreichende Ernteerträge zu erzielen. Neben dem bereits beginnenden Wiederauferstehen etwa von Fruchtwechsel, Brache (schließlich wird in einer veganen Gesellschaft nur ein Bruchteil des Ackerland benötigt, da der um ein vielfaches höhere Anbau von "Futter"-Soja, -Mais, -Getreide usw. entfällt), Gründüngung (also Aussaat und Unterbringung von noch grünen Pflanzen, um den Boden mit Humus und Pflanzennährstoffen, insbesondere Stickstoff, anzureichern.) Pflanzenjauche (z.B. aus Brennesseln), Algensaft usw. spielen hier auch neuere wissenschaftliche Entwicklungen eine wesentliche Rolle.
Der Wissenschaft sei dank geht es inzwischen vielfach gar ganz ohne Dünger: Bradyrhizobium japonicum ist ein Bakterium, mit dem sich das Chlorophyll gierig den Stickstoff aus der Luft holt. Ein Bakterium, das wächst und wächst. In Verbindung mit Soja können so dieselben Erträge wie bisher erzielt werden – ohne ein Gramm Dünger zu benutzen. Mittlerweile wird versucht, den Wachstumsbeschleuniger von Soja, der bereits jetzt in Brasilien jährlich Dünger im Wert von 2,5 Milliarden Dollar ersetzt, auf die Reis- und Zuckerrohrplantagen zu übertragen (siehe "Der Ernährer der Welt").
Wenn es um Mist und Veganismus geht, kommt fast unausweichlich auch das Thema Champignons auf. Wiesenchampignons wachsen heute wohl überwiegend durch Kuhfladen auf Weiden, morgen werden sie wieder eher dank Dung von Bambis unausgebeuteten und ihres Lebens sicheren Enkeln gedeihen: ohne Jagd und somit ohne Jagddruck werden die von Jägern zum "Rotwild" degradierten Tiere wieder ihren ursprünglichen Lebensraum besetzen und den Wald verlassen; was als Nebeneffekt die ach so schrecklichen "Verbißschäden" an Bäumen, die den Ballermännern gern als Rechtfertigung für ihre Mordlust dienen, signifikant reduzieren dürfte. Zuchtchampignons dagegen können bereits seit einiger Zeit, auf Strohballen statt Hühnerkot und Pferdemist kultiviert werden.
Auch wenn heute noch (fast) alles, was den Bauern zum Thema Düngung einfällt, Mist ist - in Zukunft wird alles anders sein. Vegan.
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