Monday, April 26. 2010
Ideologische Wissenschaft - damals und heute
Die Welt ist voller Unwissenheit. Was Veganismus anbelangt, befinden wir uns im finstersten Mittelalter, in dem die Menschen sich fürchten, vom Rand der Welt zu fallen, obwohl schon viele Jahrhunderte zuvor der Radius des Globus mit erstaunlicher Genauigkeit erfaßt wurde. Der von der Kirche geschürten Angst vor Hexerei entspricht der von der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie genährte Aberglaube an magische Stoffe in tierlichen Produkten, ohne deren Präsenz der Fluch angeblicher Mangelerscheinungen heraufbeschworen wird.1
Diese Unwissenheit abzubauen, hat sich bisher nur die American Dietetic Association (ADA) bemüht, die 2003 und 2009 durch die Auswertung einer Vielzahl an Studien die vegane Ernährung als für jedes Lebensalter geeignet bezeichnete. Der Rest der Ernährungswissenschaft fürchtet immer noch, am Rand hinabzufallen, wenn sie das Offensichtliche bestätigen müsste. Nicht selten stimmt auch die Presse in dieses Konzert ein, indem sie für den Veganismus positive Ergebnisse aus Studien solange verdrehen, bis sie negativ aussehen. Das muss mit keiner Verfälschung einher gehen – das Positive zu marginaliseren und das Negative herauszustellen erzielt bereits den gewünschten Eindruck.
Fachzeitschrift für Ernährungswissenschaft
Die Auswertung von drei früheren Studien, die zwischen 1954 und 1967 erhoben worden waren, sowie die eigene Studie, habe erwiesen, so die Autoren, dass "vegane Ernährung, die unbehandelte Getreideprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Gemüse und Früchte umfasst, keine erkennbaren Mangelerscheinungen hervorruft" und lediglich Vitamin B12 supplementiert werden sollte. Es wäre erwiesen, dass "die durchschnittliche Nährstoffaufnahme die empfohlenen Tagesdosen erfüllt". Bei der Nährstoffanalyse der Studien (zwischen Veganern, Vegetariern und Omnivoren) waren die Werte für Eisen und Thiamin (Vitamin B1) bei Veganern zudem höher als bei Omnivoren. Und auch wenn die Protein-Aufnahme geringer war, konsumierten Veganer "einen angemessenen Anteil verwendbaren Proteins".4 Beim Vitamin B12 lautete das Ergebnis der eigenen Studie, dass die Veganer keinerlei Anzeichen für einen Mangel zeigten (wobei die Autoren vermuten, dass angereicherte Produkte konsumiert wurden).
Abschließend stellten sie fest:
Aus unserer Studie mit Veganern zeigt sich eindeutig, dass diese Ernährung einen befriedigenden Nährwert für Erwachsene garantiert, vorausgesetzt, es wird Vitamin B12 supplementiert, wenngleich es interessant wäre, eine weitere Studie mit veganen Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Miller (1963) hat nämlich gezeigt, dass es möglich ist, mit ausschließlich pflanzlichen Bestandteilen Säuglingsnahrung mit NApCal 8%[5] herzustellen, die damit die Anforderungen [an Säuglingsnahrung] erfüllt.
Die Berücksichtigung dieser Ergebnisse ist für das Welternährungsproblem[6] relevant, da weit höhere Nährstoff-Erträge pro Flächeneinheit durch Gemüsekulturen erzeugt werden als durch Tierhaltung (Tabelle 3) und die Erträge pro Arbeitsstunde folgen einem ähnlichen Schema.
Miller & Mumford (1966) fanden heraus, dass die günstigste Nahrung, um die täglichen Dosen von drei oder mehr 'Schlüssel'-Nährstoffen (Kalorien, Protein, Kalzium, Eisen, Vitamin A und Vitamin C) bereitzustellen, Mehl, Brot, Haferflocken, Kartoffeln, Bohnen, Möhren, Kohl, Spinat und Wasserkresse sind.
Das bedeutet auch, bereits vor knapp 50 Jahren wurde festgestellt, dass auch vegane Säuglings- bzw. Kinderernährung höchstwahrscheinlich kein Problem darstellt. Dennoch gibt es noch im Jahr 2010 Ärzte, die von veganer Kinderernährung abraten. Das geschieht meistens durch solche Personen, die nicht einmal wissen, was Veganismus überhaupt ist und am liebsten auch keine einzige Studie durchgeführt oder sich vorhandene angesehen haben. Das hält sie schließlich nicht davon ab, ablehnende Pauschalurteile zu fällen.
So wie trotz der Kenntnis der Kugelgestalt der Erde im Mittelalter die Fehlinformation der Scheibengestalt aus politischen Gründen verbreitet wurde, ist die heutige Ernährungswissenschaft nicht weniger politisch. Während sehr vielen Menschen bekannt ist, dass Veganer eine niedrige Vitamin-B12-Aufnahme haben könnten (und bei nicht wenigen Menschen ist das das einzige, was sie über Veganismus wissen), ist praktisch unbekannt, dass Veganer grundsätzlich gute Werte bei einem anderen Vitamin, der Folsäure oder Vitamin B9, haben, obwohl die Durchschnittsbevölkerung viel zu wenig Folsäure aufnimmt.7 Dennoch gibt es etliche Studien zum B12-Status bei Veganern, aber kaum Studien zum B9-Status. Nicht zuletzt deshalb, da man hier gezwungen wäre, etwas Positives über Veganismus zu sagen. Ähnlich unbekannt ist die gute Eisenversorgung (wie die o.g. Studienauswertung zeigte, war das schon vor knapp 50 Jahren bekannt), dennoch wird von der schlechteren Eisenversorgung der Vegetarier unhinterfragt auf Veganer geschlossen.
Diese gezielte Nicht- und Fehlinformationen dienen der Aufrechterhaltung des Dogmas des ungesunden Veganismus. Solange das besteht, haben die Unveganer immer eine gute Ausrede zur Hand, sich nicht mit der ethischen Dimension ihres Verhaltens auseinandersetzen zu müssen. Dass in einer speziesistischen Gesellschaft die Ernährungswissenschaft (bis auf Ausnahmen) einen entscheidenden Teil zu dieser Aufrechterhaltung beiträgt, versteht sich.
Aus der Geschichte zu lernen ist ratsam, um gleiche Fehler nicht zu wiederholen. Manche der heutigen Ernährungswissenschaftler sind die Kleriker der Gegenwart, die Fakten ignorieren, die seit langer Zeit bekannt sind. Veganismus darf nicht möglich und gesund sein, da das die eigene Ideologie beeinträchtigen würde. Es bleibt zu hoffen, dass es neben den obigen Autoren und der ADA mehr werden, die solchen Kräften entgegensteuern und sich nicht scheuen, das etablierte Weltbild zu verändern.
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1 http://veganismus.de/intro.html [27.04.2010].
2 "The nutritional status of vegans and vegetarians", in: Proceedings of the Nutrition Society 26 (1967), S. 197-205.
3 Wobei Veganismus genau genommen natürlich keine Ernährungsform, sondern ein Lebensstil ist
4 Im englischsprachigen Raum ist der Protein-Mythos (Veganer hätten irgendwelche Versorgungsprobleme bei Proteinen) wesentlich stärker verbreitet als im deutschsprachigen.
5 Das ist eine Angabe für Proteinqualität. Der hier genannt Wert entspricht dem menschlicher Muttermilch.
6 Erst ab dieser Zeit stieg die Weltbevölkerung exponential an (die Zahl von vier Milliarden wurde "erst" 1980 erreicht). Gleichzeitig gab es erst seit knapp zwanzig Jahren "Massentierhaltung" im heutigen Sinne. Bis heute ist es bekanntlich nicht besser geworden, immer mehr pflanzliche Nahrung wird in der Tierausbeutungsindustrie verschwendet, während der Welthunger zunimmt.
7 http://www.bfr.bund.de/cd/8899#a8906 [27.04.2010].