Sunday, September 5. 2010
Tötungsraten
Ein Mädchen in rotem Pullover und weißer Hose steht an einem Fluss und wirft Hundewelpen hinein. Sie nimmt sie einzeln aus einem Eimer, in dem die Welpen teilweise übereinander liegen, und wirft sie in das Wasser, wo man die Hunde aufschlagen sieht. Das Mädchen und der Kameramann lachen dabei. Dieses Video, das seit einigen Tagen durch das Internet kursiert, hat, wie es in den Medien so schön heißt, "eine Welle der Empörung" hervorgerufen. Wenn man nachzählt, sind fünf Welpen innerhalb von vierzig Sekunden, die sie auf diese Weise umbringt (auf die Minute gerechnet wären das siebeneinhalb). Die ganze Aufregung kann ich nicht verstehen.
Die Internetgemeinde verbreitet das Video, um die Täterin zu identifizieren. So gibt es auf Facebook z.B. die deutsche Gruppe "Findet das Mädchen, das Welpen in den Fluss geschmissen hat". Von den Kommentatoren dort und überall sonst im Internet, wo auf das Video verlinkt wird, liest man oft nicht gerade freundliche Botschaften. Sie hätte die Todesstrafe verdient, man sollte sie selbst in den Fluss werfen oder erschießen, heißt es bei einigen. Wieso eigentlich? Sie tötet Tiere zum puren Vergnügen. Nichts wesentlich anderes machen die Menschen, die täglich Tierprodukte wie "Fleisch", Eier oder Tiermilch konsumieren. Für all diese Produkte, werden zwangsläufig Tiere getötet. Eine bessere Rechtfertigung als das bloße Geschmackserlebnis, für das die Konsumenten den Tod der Tiere in Kauf nehmen, gibt es nicht. Von dem Unterschied abgesehen, dass das Mädchen sich die Hände noch selbst schmutzig macht, wohingegen der Durchschnittskonsument andere dafür bezahlt, ist es ethisch gesehen das gleiche.
Nicht lange zu warten hatte man auch darauf, dass die populistische Tierschutz-Organisation PETA USA ein Kopfgeld von 2000 Dollar auf Hinweise zu Ergreifung ausgesetzt hat. Das ist genau die Organisation, die jährlich Tausende Katzen und Hunde tötet ("euthanasiert").1 Die Tötungsrate auf die Minute umgerechnet ist nicht ganz so hoch, aber PETA bringt es immerhin noch auf zirka fünf Tiere pro Tag. Wenn man annimmt, dass die Werferin nicht noch weitere Hunde an diesem Tag umgebracht hat, sind beide gleichauf. Da das Mädchen aus Bosnien stammt, hat sie höchstwahrscheinlich wenig Geld zu Verfügung, wohingegen PETA Millionen an Spenden einnimmt und damit noch eher für die Versorgung der Tiere aufkommen könnte, d.h. im Vergleich schlechter dasteht. Darf man also erwarten, dass PETA in Zukunft 2000 Dollar zu Hinweisen auf die Ergreifung der eigenen Mitarbeiter aussetzt?
Was das Mädchen angeht, würde sie, trotz der offenkundig zur Schau gestellten Mordlust, vom hiesigen Schlachtgewerbe empört zurückwiesen. Viel zu ineffizient. Was sollte ein Schlachthof mit Mitarbeitern, deren Tötungsrate bei gerade einmal siebeneinhalb Tieren pro Minute liegt? Bei Schweinen schaffen moderne Betriebe 10 Tiere pro Minute. Die männlichen Küken, die in einer Brüterei für Legehennen aussortiert werden, weil sie keine Eier legen können, sterben zu zwanzigst pro Minute. Kein Vergleich zum im Bau befindlichen neue "Mega-Schlachthof" in Wietze, wo künftig 450 Hühner pro Minute mit dem Messer Bekanntschaft machen werden. Wohlgemerkt hören diese nicht nach einer Minute auf. Die Welpen-Mörderin bleibt wohl bei fünf am Tag, von den eben erwähnten Betrieben sind es täglich jeweils 4800 Schweine, 10.000 Küken oder 416.000 Hühner.2 Und das ist jeweils nur ein Betrieb, von denen gibt es deutschlandweit Duzende oder Hunderte. In den Schatten gestellt wird das alles nur durch das Töten der Fische. Während man davon ausgeht, dass circa 56 Milliarden Landtiere jährlich sterben, war die Zahl der Fische lange unklar. Eine neue wissenschaftliche Schätzung hat errechnet, dass es irgendetwas zwischen 0,97 und 2,74 Billionen jährlich sind.3 Geht man von einer moderaten Billion aus (das ist eine eins mit zwölf Nullen), ergibt das knapp zwei Millionen pro Minute. Um das zu erreichen, müsste das Mädchen minütlich 285 LKW-Ladungen Hundewelpen in einen Fluss entladen.4 Vielleicht wäre das auch eine gute Lösung, denn wie es scheint verhalten sich die Menschen dem Töten von Tieren gegenüber um so gleichgültiger, je mehr es sind.
Die erwähnten Tötungsraten von Schweinen, Küken, Hühnern und Fischen sind Praktiken, für die gut 99% der empörten Kommentatoren tagtäglich bezahlen. Auch wenn der eine oder andere sich über die Höhe genauso beschweren würde, wären die "Alternativen" noch weit von fünf Tieren pro Tag entfernt. Ein kleiner, "alternativer" Schlachthof tötet vielleicht "nur" 300 Tiere am Tag, doch sind das immer noch sechzig Mal so viele wie die "Hundehasserin". Letztlich kommt fast niemand darauf, dass es keinen ethischen Unterschied gibt, ob man einen Hundewelpen oder ein Schwein tötet, da beides gleichermaßen unnötig ist. Hunde kann man sterilisieren und Menschen können sie vegan ernähren. Wenn das Mädchen gefunden wird,5 sollten die, die sich so ungemein über sie aufregen, aber selbst nicht vegan leben, nicht ihre Bestrafung fordern, sondern ihr einen Metzger-Lehrgang spendieren. Dann kann sie fast die gleiche Tätigkeit weiterhin ausüben – Tiere ohne jede Notwendigkeit zum Vergnügen anderer zu töten. Nur bekäme sie dann von den gleichen Leuten, die sie jetzt beschimpfen, Geld dafür und sicher auch das eine oder andere Dankeswort.
__________
1 http://tierrechtsforen.de/peta [04.09.2010]. Zu dem (überraschend späten) Rechtfertigungsversuch, es seien alles nur schwerkranke Tiere, siehe http://tierrechtsforen.de/1/7668/8284 [04.09.2010].
2 Die ersten beiden Zahlen errechnet anhand eines Achtstundentages. Wahrscheinlich wird aber in den meisten Schlachtbetrieben länger als acht Stunden pro Tag gearbeitet, sodass es nochmals mehr wären, als hier angegeben. Die Zahl für Wietze beruht auf der Angabe, 2,5 Mio. pro Woche (bei einer Sechstagewoche) zu töten.
3 http://www.fishcount.org.uk/published/standard/fishcountsummaryrptSR.pdf [04.09.2010].
4 Geht man von zwei Kilo Gewicht der Welpen und einem Ladevermögen eines LKWs (ohne Anhänger) von 14 Tonnen aus.
5 Angeblich wurde sie inzwischen gefunden und erhält voraussichtlich die Höchststrafe für Tierquälerei: umgerechnet 5000 Euro. Würde sie das Geld nicht für Strafe aufwenden müssen, sondern wäre damit in einen deutschen Supermarkt gegangen, hätte sie damit theoretisch gut 2500 Kilo "Schweinefleisch" kaufen können. Und niemanden hätte es gestört. [Nachtrag, 05.10.2010: Die Behörden vor Ort haben entschieden, dass das Mädchen zu jung sei, um bestraft zu werden. Diese Ausrede funktioniert bei den meisten Tierproduktkonsumenten nicht.]
Video-Ausschnitt. Wären Schweine in dem Eimer, statt Hunden, wäre die Aufregung nur halb so groß.
Nicht lange zu warten hatte man auch darauf, dass die populistische Tierschutz-Organisation PETA USA ein Kopfgeld von 2000 Dollar auf Hinweise zu Ergreifung ausgesetzt hat. Das ist genau die Organisation, die jährlich Tausende Katzen und Hunde tötet ("euthanasiert").1 Die Tötungsrate auf die Minute umgerechnet ist nicht ganz so hoch, aber PETA bringt es immerhin noch auf zirka fünf Tiere pro Tag. Wenn man annimmt, dass die Werferin nicht noch weitere Hunde an diesem Tag umgebracht hat, sind beide gleichauf. Da das Mädchen aus Bosnien stammt, hat sie höchstwahrscheinlich wenig Geld zu Verfügung, wohingegen PETA Millionen an Spenden einnimmt und damit noch eher für die Versorgung der Tiere aufkommen könnte, d.h. im Vergleich schlechter dasteht. Darf man also erwarten, dass PETA in Zukunft 2000 Dollar zu Hinweisen auf die Ergreifung der eigenen Mitarbeiter aussetzt?
Was das Mädchen angeht, würde sie, trotz der offenkundig zur Schau gestellten Mordlust, vom hiesigen Schlachtgewerbe empört zurückwiesen. Viel zu ineffizient. Was sollte ein Schlachthof mit Mitarbeitern, deren Tötungsrate bei gerade einmal siebeneinhalb Tieren pro Minute liegt? Bei Schweinen schaffen moderne Betriebe 10 Tiere pro Minute. Die männlichen Küken, die in einer Brüterei für Legehennen aussortiert werden, weil sie keine Eier legen können, sterben zu zwanzigst pro Minute. Kein Vergleich zum im Bau befindlichen neue "Mega-Schlachthof" in Wietze, wo künftig 450 Hühner pro Minute mit dem Messer Bekanntschaft machen werden. Wohlgemerkt hören diese nicht nach einer Minute auf. Die Welpen-Mörderin bleibt wohl bei fünf am Tag, von den eben erwähnten Betrieben sind es täglich jeweils 4800 Schweine, 10.000 Küken oder 416.000 Hühner.2 Und das ist jeweils nur ein Betrieb, von denen gibt es deutschlandweit Duzende oder Hunderte. In den Schatten gestellt wird das alles nur durch das Töten der Fische. Während man davon ausgeht, dass circa 56 Milliarden Landtiere jährlich sterben, war die Zahl der Fische lange unklar. Eine neue wissenschaftliche Schätzung hat errechnet, dass es irgendetwas zwischen 0,97 und 2,74 Billionen jährlich sind.3 Geht man von einer moderaten Billion aus (das ist eine eins mit zwölf Nullen), ergibt das knapp zwei Millionen pro Minute. Um das zu erreichen, müsste das Mädchen minütlich 285 LKW-Ladungen Hundewelpen in einen Fluss entladen.4 Vielleicht wäre das auch eine gute Lösung, denn wie es scheint verhalten sich die Menschen dem Töten von Tieren gegenüber um so gleichgültiger, je mehr es sind.
Die erwähnten Tötungsraten von Schweinen, Küken, Hühnern und Fischen sind Praktiken, für die gut 99% der empörten Kommentatoren tagtäglich bezahlen. Auch wenn der eine oder andere sich über die Höhe genauso beschweren würde, wären die "Alternativen" noch weit von fünf Tieren pro Tag entfernt. Ein kleiner, "alternativer" Schlachthof tötet vielleicht "nur" 300 Tiere am Tag, doch sind das immer noch sechzig Mal so viele wie die "Hundehasserin". Letztlich kommt fast niemand darauf, dass es keinen ethischen Unterschied gibt, ob man einen Hundewelpen oder ein Schwein tötet, da beides gleichermaßen unnötig ist. Hunde kann man sterilisieren und Menschen können sie vegan ernähren. Wenn das Mädchen gefunden wird,5 sollten die, die sich so ungemein über sie aufregen, aber selbst nicht vegan leben, nicht ihre Bestrafung fordern, sondern ihr einen Metzger-Lehrgang spendieren. Dann kann sie fast die gleiche Tätigkeit weiterhin ausüben – Tiere ohne jede Notwendigkeit zum Vergnügen anderer zu töten. Nur bekäme sie dann von den gleichen Leuten, die sie jetzt beschimpfen, Geld dafür und sicher auch das eine oder andere Dankeswort.
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1 http://tierrechtsforen.de/peta [04.09.2010]. Zu dem (überraschend späten) Rechtfertigungsversuch, es seien alles nur schwerkranke Tiere, siehe http://tierrechtsforen.de/1/7668/8284 [04.09.2010].
2 Die ersten beiden Zahlen errechnet anhand eines Achtstundentages. Wahrscheinlich wird aber in den meisten Schlachtbetrieben länger als acht Stunden pro Tag gearbeitet, sodass es nochmals mehr wären, als hier angegeben. Die Zahl für Wietze beruht auf der Angabe, 2,5 Mio. pro Woche (bei einer Sechstagewoche) zu töten.
3 http://www.fishcount.org.uk/published/standard/fishcountsummaryrptSR.pdf [04.09.2010].
4 Geht man von zwei Kilo Gewicht der Welpen und einem Ladevermögen eines LKWs (ohne Anhänger) von 14 Tonnen aus.
5 Angeblich wurde sie inzwischen gefunden und erhält voraussichtlich die Höchststrafe für Tierquälerei: umgerechnet 5000 Euro. Würde sie das Geld nicht für Strafe aufwenden müssen, sondern wäre damit in einen deutschen Supermarkt gegangen, hätte sie damit theoretisch gut 2500 Kilo "Schweinefleisch" kaufen können. Und niemanden hätte es gestört. [Nachtrag, 05.10.2010: Die Behörden vor Ort haben entschieden, dass das Mädchen zu jung sei, um bestraft zu werden. Diese Ausrede funktioniert bei den meisten Tierproduktkonsumenten nicht.]