Thursday, August 11. 2011
Die „China Study“ und die Unkritischen
Jonathan Safran Foers Buch Tiere essen wurde von den Medien bald nach Erscheinen zur „Bibel der Vegetarier“ erklärt. Der Vergleich passt auf unfreiwillige Weise, denn das bedeutet: Es ist ein Buch, das weitgehend ungelesen ins Regal gestellt wird und in dem man, wenn man es denn einmal liest, Aussagen findet, die den Behauptungen darüber widersprechen. So wie die Bibel als „Buch der Liebe“ deklariert wird, obwohl sie voller Gewaltverherrlichung steckt, tritt Foer nicht (einmal) für Vegetarismus ein, sondern nur für die Reduzierung des Fleischkonsums.
Nun steht das nächste Buch, das zu einer „Bibel“ wird, in der Reihe. Es handelt sich um Campbells China Study. T. Colin Campbell und sein Sohn haben über mehrere Jahre in China Daten zum Ernährungsverhalten der dortigen Bevölkerung und ihren Gesundheitszustand gesammelt, um daraus Rückschlüsse auf die gesündeste Ernährungsweise ziehen zu können. Dieses Buch wird nun mit einer erstaunlichen Reflexhaftigkeit – ohne dass die meisten der Adepten einen Blick hineingeworfen hätten – in bestimmten Kreisen zum fünften Evangelium erklärt. Andererseits nimmt es auch nicht wunder, betrachtet man diese Kreise näher. Es ist vordergründig die Esoterik-Fraktion unter den Veganern – Homöopathie, „Impfkritik“, Ernährungslehren und das Modewort „Ganzheitlichkeit“ sind nur einige ihrer Merkmale. Passend dazu ist die deutsche Übersetzung im verlag systemische medizin erschienen, der hauptsächlich Esoterik-Literatur vertreibt. Auch die deutsche Aktionsseite zum Buch (diechinastudy.de) weist ähnlich geartete Links auf.
Es spräche nichts dagegen, dieses Buch zur Lektüre zu empfehlen. Doch die Art und Weise, wie diese Empfehlung von einigen betrieben wird, erinnert eben doch an quasireligiöse Verkündigung. Eine kritische Reflexion findet nicht statt, obwohl gerade im Bereich Ernährungswissenschaft die einzige Konstante ist, dass fast keine definitiven Aussagen möglich sind. Dennoch werden Campbells Behauptungen unhinterfragt als offenbarte Wahrheit dargestellt.
Dabei wäre von jedem zu erwarten, dass er imstande ist, Aussagen kritisch zu lesen. Es ist zudem nicht schwierig, fachliche Kritik zu finden, wenn man meint, das eigene Fachwissen reiche nicht für eine kritische Beurteilung. Natürlich ist nicht jede Kritik an Campbell fraglos berechtigt. Sie stammt auch aus ähnlich vorurteilsbehafteten und vor Ideologie blinden Personen und Organisationen, von denen die Weston A. Price Foundation nur die bekannteste ist (sie propagiert, möglichst viele unverarbeitete Tierprodukte zu essen). Doch gibt es auch glaubwürdige Kritiker wie auf sciencebasedmedicine.org oder in privaten Blogs, die trotz aller inhaltlichen Kritik Campbells Untersuchung als wichtigen Beitrag zur Diskussion würdigen.
Sie weisen jedoch auf einige grundsätzliche Probleme hin, die alle zur Kenntnis nehmen sollten, die meinen, Campbell wäre die Antwort auf die letzten Fragen.
Statistiken und Korrelationen
Ein Grundproblem liegt in Campbells Herangehensweise. Wie er selbst sagt,1 sammelte er die vielen Daten nicht, um mit ihrer Hilfe Schlussfolgerungen zu ziehen, sondern um seine Theorien, die für ihn bereits feststanden, zu beweisen – eine wissenschaftlich unredliche Vorgehensweise. Aufgrund dieser Haltung musste er nur unter den 8 000 statistisch signifikanten Korrelationen, die sich aus den Rohdaten ergeben haben, die geeigneten zusammenzusuchen.
Nur heißt eine Korrelation zu finden nicht, die Ursache identifiziert zu haben. So finden sich nicht nur positive Korrelationen zwischen dem Konsum von Tierprodukten und Krebs, sondern auch zwischen dem Konsum von Weizenprotein und Krebs und zwischen grünem Gemüse und Herzkrankheiten. Dieser Herangehensweise entspricht ebenfalls sein Umgang mit Statistiken, der es Kritikern oft einfach macht. So die Statistik über Brustkrebs, in der es einen „Ausreißer“ gibt, also einen Wert, der sehr stark von den anderen abweicht. Solche Werte werden normalerweise ausgeschlossen, weil sie, wie hier der Fall, sonst das Ergebnis verzerren können. Ließe man ihn weg, wäre die Korrelation zwischen Brustkrebs und dem Konsum von Tierprotein kaum höher als die zwischen Brustkrebs und Pflanzenölen.
Neben diesen statistischen Fragwürdigkeiten, argumentiert er stark monokausal. Ursachen für Krebs gibt es viele (nicht nur Cholesterin). Verantwortlich können auch gemacht werden: der Blutzuckerspiegel, stark verarbeitete Weizenprodukte, Bierkonsum oder Faktoren außerhalb der Ernährung wie die Beschäftigung in der Industrie statt in der Landwirtschaft oder Verwaltung. Campbell selbst behauptet, Reduktionismus sei eine häufige Fehlerquelle. Dennoch benutzt er Cholesterin nicht weniger reduktionistisch als eindeutige Krankheitsursache.
Zur Monokausalität gehört ebenfalls, dass Ergebnisse von Untersuchungen an Kasein auf alle Tierproteine übertagen werden, obwohl sich andere Tierproteine biochemisch auch anders verhalten. Manche Fakten werden erst gar nicht erwähnt. So zum Beispiel, dass China die weltweit höchste Magenkrebsrate hat, was nicht so recht zum Vorbild passt, zudem es gemacht werden soll.
Das leidige Thema
Abgesehen vom Thema Tierproteine ist besonders beachtenswert, welche Aussagen er zum Thema Veganismus (wenn man es so nennen will) macht. Seine Aussagen zu Vitamin B12 passen leider in die Reihe seines oftmals unfundierten und wenig durchdachten Umgangs mit Quellen. Angeblich würden Pflanzen B12 problemlos aus dem Boden aufnehmen, solange es „gesunder Boden“ ist, kein „lebloser“ (S. 232; hier wie im Folgenden zitiert nach der englischen Ausgabe). Gemeint ist mit diesen Begriffen die Biolandwirtschaft. Damit ist das Thema im Buch für ihn beendet. Jedoch zeigt die Quelle, auf die er seine Behauptung stützt,2 dass es einige Probleme mit der Umsetzung gäbe.
Das eine Problem: Die geteste Methode der B12-Anreicherung ist „bio“, aber nicht vegan, denn der „Bio-Dünger“, der das B12 enthält und mit dem die Tests gemacht wurden, ist Tierdünger. Theoretisch ist auch die Ausbringung von B12 selbst möglich; nur fragt sich, inwiefern das dann noch als bio zu bezeichnen ist, da es sich schließlich um einen äußerst „unnatürlichen“ Vorgang handelt. Abgesehen von der Ineffizienz, B12 auf die Felder zu schütten anstatt Nahrungsmitteln direkt damit anzureichern.
Das andere Problem: Die Menge B12 in den Pflanzen reicht bei weitem nicht für eine gesicherte Versorgung. Der höchste Wert, der bei den Tests erreicht wurde, liegt bei knapp 18 Nanogramm je Gramm Trockengewicht Spinat. Für die Tagesdosis von zehn Mikrogramm B12 müsste man also Spinat in einer Menge von ca. 550 Gramm Trockengewicht oder zwischen anderthalb und zwei Kilo Normalgewicht konsumieren. Und das täglich.
Entsprechend fahrlässig ist es, dass Campbell von Supplementierung abrät. Außer wenn man seit mehr als drei Jahren keine Tierprodukte isst, schwanger ist oder stillt, dann sollte man „gelegentlich kleine B12-Supplemente nehmen“ oder jährlich seinen B-Vitamin- und Homocystein-Spiegel überprüfen lassen. Nur sind „gelegentlich kleine Mengen“ zu wenig (zu den richtigen Mengen und richtigen zeitlichen Abständen siehe hier) und Testen zu lassen ist unsinnig. Es ist deutlich teurer als Supplemente zu kaufen und kann durch fehlerhafte Ergebnisse in falscher Sicherheit wiegen.
Campbell für Veganismus?
Sowohl von den Befürwortern als auch von einigen Gegnern des Buches wurden Campbells Ernährungsempfehlungen auf den Begriff „Veganismus“ gebracht; der Untertitle der zweiten Auflage lautet nun „Die wissenschaftliche Begründung für eine vegane Ernährungsweise“. Allen diesen ist entweder nicht bekannt, was Veganismus ist, sie haben das Buch nicht gelesen, nicht verstanden oder die Widersprüche, die sich finden, sind ihnen schlicht egal. Ich überspringe den offensichtlichen Fehler, dass Veganismus keine Ernährungsweise ist, sondern auch Nicht-Ernährungsbereiche umfasst, und komme zur entscheidenden Stelle (S. 242, 244):
Wobei er die erste Anweisung – möglichst alle Tierprodukte zu vermeiden – auch so ausdrückt, dass man den Tierproduktkonsum auf „10–0%“ (S. 242) reduzieren solle. Ernährungstechnisch hat er recht, es ist vernachlässigbar. Aber ernährungsethisch nicht: Alles außer null Prozent ist eindeutig keine vegane Ernährung. Zudem gilt „Fisch“ zu den nicht zu vermeidenden, sondern nur zu reduzierenden Nahrungsmitteln (S. 243). Ähnlich wie Foer und andere plädiert er also nur für eine (wenn auch tlw. starke) Reduzierung des Tierproduktkonsums, nicht aber für Veganismus.
Fazit
Bei diesem Buch wie auch bei allen anderen ist wie immer eines zu raten: kritisch lesen. Nicht irgendwelchen Organisationen nach dem Mund reden, erst recht nicht solchen, die auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Spenden ausgerichtet sind. Denn deren kritisches Hinterfragen endet bei dem Ausstellen von Spendenquittungen.
Wirklich nötiger gewesen wäre ein Buch, das nachweist, dass vegane Ernährung tatsächlich unproblematisch ist und wieso. Langleys Vegane Ernährung ist veraltet und und Leitzmanns & Kellers Vegetarische Ernährung zu sehr auf Vegetarismus konzentriert. Campbells Buch ist dagegen weitgehend unnötig. Dass übermäßiger Tierproduktkonsum gesundheitsschädlich ist, wird von niemandem ernsthaft bestritten. Selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt den Fleischkonsum zu halbieren.
Eine gänzliche Vermeidung von Tierprodukten kann man gesundheitlich hingegen nicht begründen. Das ist kein Argument gegen den Veganismus, da man es auch nicht muss. Veganismus ist ethisch motiviert – und ethisch ist es möglich, die gänzliche Vermeidung zu begründen. Was den gesundheitlichen Aspekt betrifft, ist Veganismus unbedenklich und deutlich gesünder im Vergleich zur gegenwärtigen Durchschnitts-Ernährung. Mehr braucht es nicht. Alles andere kann als kaum haltbare Übertreibung abgetan werden und schadet der Argumentation für Veganismus – und vor allem ihrer Glaubwürdigkeit.
Nun steht das nächste Buch, das zu einer „Bibel“ wird, in der Reihe. Es handelt sich um Campbells China Study. T. Colin Campbell und sein Sohn haben über mehrere Jahre in China Daten zum Ernährungsverhalten der dortigen Bevölkerung und ihren Gesundheitszustand gesammelt, um daraus Rückschlüsse auf die gesündeste Ernährungsweise ziehen zu können. Dieses Buch wird nun mit einer erstaunlichen Reflexhaftigkeit – ohne dass die meisten der Adepten einen Blick hineingeworfen hätten – in bestimmten Kreisen zum fünften Evangelium erklärt. Andererseits nimmt es auch nicht wunder, betrachtet man diese Kreise näher. Es ist vordergründig die Esoterik-Fraktion unter den Veganern – Homöopathie, „Impfkritik“, Ernährungslehren und das Modewort „Ganzheitlichkeit“ sind nur einige ihrer Merkmale. Passend dazu ist die deutsche Übersetzung im verlag systemische medizin erschienen, der hauptsächlich Esoterik-Literatur vertreibt. Auch die deutsche Aktionsseite zum Buch (diechinastudy.de) weist ähnlich geartete Links auf.
Das „gute Buch“?
Dabei wäre von jedem zu erwarten, dass er imstande ist, Aussagen kritisch zu lesen. Es ist zudem nicht schwierig, fachliche Kritik zu finden, wenn man meint, das eigene Fachwissen reiche nicht für eine kritische Beurteilung. Natürlich ist nicht jede Kritik an Campbell fraglos berechtigt. Sie stammt auch aus ähnlich vorurteilsbehafteten und vor Ideologie blinden Personen und Organisationen, von denen die Weston A. Price Foundation nur die bekannteste ist (sie propagiert, möglichst viele unverarbeitete Tierprodukte zu essen). Doch gibt es auch glaubwürdige Kritiker wie auf sciencebasedmedicine.org oder in privaten Blogs, die trotz aller inhaltlichen Kritik Campbells Untersuchung als wichtigen Beitrag zur Diskussion würdigen.
Sie weisen jedoch auf einige grundsätzliche Probleme hin, die alle zur Kenntnis nehmen sollten, die meinen, Campbell wäre die Antwort auf die letzten Fragen.
Statistiken und Korrelationen
Ein Grundproblem liegt in Campbells Herangehensweise. Wie er selbst sagt,1 sammelte er die vielen Daten nicht, um mit ihrer Hilfe Schlussfolgerungen zu ziehen, sondern um seine Theorien, die für ihn bereits feststanden, zu beweisen – eine wissenschaftlich unredliche Vorgehensweise. Aufgrund dieser Haltung musste er nur unter den 8 000 statistisch signifikanten Korrelationen, die sich aus den Rohdaten ergeben haben, die geeigneten zusammenzusuchen.
Nur heißt eine Korrelation zu finden nicht, die Ursache identifiziert zu haben. So finden sich nicht nur positive Korrelationen zwischen dem Konsum von Tierprodukten und Krebs, sondern auch zwischen dem Konsum von Weizenprotein und Krebs und zwischen grünem Gemüse und Herzkrankheiten. Dieser Herangehensweise entspricht ebenfalls sein Umgang mit Statistiken, der es Kritikern oft einfach macht. So die Statistik über Brustkrebs, in der es einen „Ausreißer“ gibt, also einen Wert, der sehr stark von den anderen abweicht. Solche Werte werden normalerweise ausgeschlossen, weil sie, wie hier der Fall, sonst das Ergebnis verzerren können. Ließe man ihn weg, wäre die Korrelation zwischen Brustkrebs und dem Konsum von Tierprotein kaum höher als die zwischen Brustkrebs und Pflanzenölen.
Neben diesen statistischen Fragwürdigkeiten, argumentiert er stark monokausal. Ursachen für Krebs gibt es viele (nicht nur Cholesterin). Verantwortlich können auch gemacht werden: der Blutzuckerspiegel, stark verarbeitete Weizenprodukte, Bierkonsum oder Faktoren außerhalb der Ernährung wie die Beschäftigung in der Industrie statt in der Landwirtschaft oder Verwaltung. Campbell selbst behauptet, Reduktionismus sei eine häufige Fehlerquelle. Dennoch benutzt er Cholesterin nicht weniger reduktionistisch als eindeutige Krankheitsursache.
Zur Monokausalität gehört ebenfalls, dass Ergebnisse von Untersuchungen an Kasein auf alle Tierproteine übertagen werden, obwohl sich andere Tierproteine biochemisch auch anders verhalten. Manche Fakten werden erst gar nicht erwähnt. So zum Beispiel, dass China die weltweit höchste Magenkrebsrate hat, was nicht so recht zum Vorbild passt, zudem es gemacht werden soll.
Das leidige Thema
Abgesehen vom Thema Tierproteine ist besonders beachtenswert, welche Aussagen er zum Thema Veganismus (wenn man es so nennen will) macht. Seine Aussagen zu Vitamin B12 passen leider in die Reihe seines oftmals unfundierten und wenig durchdachten Umgangs mit Quellen. Angeblich würden Pflanzen B12 problemlos aus dem Boden aufnehmen, solange es „gesunder Boden“ ist, kein „lebloser“ (S. 232; hier wie im Folgenden zitiert nach der englischen Ausgabe). Gemeint ist mit diesen Begriffen die Biolandwirtschaft. Damit ist das Thema im Buch für ihn beendet. Jedoch zeigt die Quelle, auf die er seine Behauptung stützt,2 dass es einige Probleme mit der Umsetzung gäbe.
Das eine Problem: Die geteste Methode der B12-Anreicherung ist „bio“, aber nicht vegan, denn der „Bio-Dünger“, der das B12 enthält und mit dem die Tests gemacht wurden, ist Tierdünger. Theoretisch ist auch die Ausbringung von B12 selbst möglich; nur fragt sich, inwiefern das dann noch als bio zu bezeichnen ist, da es sich schließlich um einen äußerst „unnatürlichen“ Vorgang handelt. Abgesehen von der Ineffizienz, B12 auf die Felder zu schütten anstatt Nahrungsmitteln direkt damit anzureichern.
Das andere Problem: Die Menge B12 in den Pflanzen reicht bei weitem nicht für eine gesicherte Versorgung. Der höchste Wert, der bei den Tests erreicht wurde, liegt bei knapp 18 Nanogramm je Gramm Trockengewicht Spinat. Für die Tagesdosis von zehn Mikrogramm B12 müsste man also Spinat in einer Menge von ca. 550 Gramm Trockengewicht oder zwischen anderthalb und zwei Kilo Normalgewicht konsumieren. Und das täglich.
Entsprechend fahrlässig ist es, dass Campbell von Supplementierung abrät. Außer wenn man seit mehr als drei Jahren keine Tierprodukte isst, schwanger ist oder stillt, dann sollte man „gelegentlich kleine B12-Supplemente nehmen“ oder jährlich seinen B-Vitamin- und Homocystein-Spiegel überprüfen lassen. Nur sind „gelegentlich kleine Mengen“ zu wenig (zu den richtigen Mengen und richtigen zeitlichen Abständen siehe hier) und Testen zu lassen ist unsinnig. Es ist deutlich teurer als Supplemente zu kaufen und kann durch fehlerhafte Ergebnisse in falscher Sicherheit wiegen.
Campbell für Veganismus?
Sowohl von den Befürwortern als auch von einigen Gegnern des Buches wurden Campbells Ernährungsempfehlungen auf den Begriff „Veganismus“ gebracht; der Untertitle der zweiten Auflage lautet nun „Die wissenschaftliche Begründung für eine vegane Ernährungsweise“. Allen diesen ist entweder nicht bekannt, was Veganismus ist, sie haben das Buch nicht gelesen, nicht verstanden oder die Widersprüche, die sich finden, sind ihnen schlicht egal. Ich überspringe den offensichtlichen Fehler, dass Veganismus keine Ernährungsweise ist, sondern auch Nicht-Ernährungsbereiche umfasst, und komme zur entscheidenden Stelle (S. 242, 244):
Mein Ratschlag ist zu versuchen, alle Tierprodukte aus der eigenen Ernährung zu streichen, es aber nicht zu übertreiben. Wenn eine schmackhafte Gemüsesuppe mit Hühnerbrühe gemacht ist oder wenn ein herzhafter Laib Brot eine kleine Menge Ei enthält, machen Sie sich keine Gedanken. [ ] Diese Mengen sind höchstwahrscheinlich ernährungstechnisch vernachlässigbar.
Wobei er die erste Anweisung – möglichst alle Tierprodukte zu vermeiden – auch so ausdrückt, dass man den Tierproduktkonsum auf „10–0%“ (S. 242) reduzieren solle. Ernährungstechnisch hat er recht, es ist vernachlässigbar. Aber ernährungsethisch nicht: Alles außer null Prozent ist eindeutig keine vegane Ernährung. Zudem gilt „Fisch“ zu den nicht zu vermeidenden, sondern nur zu reduzierenden Nahrungsmitteln (S. 243). Ähnlich wie Foer und andere plädiert er also nur für eine (wenn auch tlw. starke) Reduzierung des Tierproduktkonsums, nicht aber für Veganismus.
Fazit
Bei diesem Buch wie auch bei allen anderen ist wie immer eines zu raten: kritisch lesen. Nicht irgendwelchen Organisationen nach dem Mund reden, erst recht nicht solchen, die auf Öffentlichkeitswirksamkeit und Spenden ausgerichtet sind. Denn deren kritisches Hinterfragen endet bei dem Ausstellen von Spendenquittungen.
Wirklich nötiger gewesen wäre ein Buch, das nachweist, dass vegane Ernährung tatsächlich unproblematisch ist und wieso. Langleys Vegane Ernährung ist veraltet und und Leitzmanns & Kellers Vegetarische Ernährung zu sehr auf Vegetarismus konzentriert. Campbells Buch ist dagegen weitgehend unnötig. Dass übermäßiger Tierproduktkonsum gesundheitsschädlich ist, wird von niemandem ernsthaft bestritten. Selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt den Fleischkonsum zu halbieren.
Eine gänzliche Vermeidung von Tierprodukten kann man gesundheitlich hingegen nicht begründen. Das ist kein Argument gegen den Veganismus, da man es auch nicht muss. Veganismus ist ethisch motiviert – und ethisch ist es möglich, die gänzliche Vermeidung zu begründen. Was den gesundheitlichen Aspekt betrifft, ist Veganismus unbedenklich und deutlich gesünder im Vergleich zur gegenwärtigen Durchschnitts-Ernährung. Mehr braucht es nicht. Alles andere kann als kaum haltbare Übertreibung abgetan werden und schadet der Argumentation für Veganismus – und vor allem ihrer Glaubwürdigkeit.
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1 Siehe http://www.campbellcoalition.org/?page_id=203 [08.08.2011].
2 A. Mozafar: Enrichment of some b-vitamins in plants with application of organic fertilizers, in: Plant and Soil 167 (1994), 305–11.
Foto Cover: keyvive.com.
Foto Statistik: rawfoodsos.com/2010/08/06/final-china-study-response-html/.
1 Siehe http://www.campbellcoalition.org/?page_id=203 [08.08.2011].
2 A. Mozafar: Enrichment of some b-vitamins in plants with application of organic fertilizers, in: Plant and Soil 167 (1994), 305–11.
Foto Cover: keyvive.com.
Foto Statistik: rawfoodsos.com/2010/08/06/final-china-study-response-html/.