Saturday, June 30. 2012
Veganer und Nicht-Veganer
Die Stellungnahme der DGE zu veganer Kinderernährung
[Für Quellen und Fußnoten Eintrag vollständig anzeigen lassen]
Die ÖGE und ihre deutsche Schwesterngesellschaft [die DGE] halten eine rein vegane Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindes- und Jugendalter hingegen für nicht geeignet, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen. Eine ausreichende Nährstoffversorgung in der Schwangerschaft sei bei einer rein veganen Ernährung auch bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl nicht möglich.
(Der Standard, 26.04.2012)
[Frage:] Wer sollte sich auf keinen Fall vegan ernähren? [Antwort:] Kinder. Sie brauchen eine ausgewogene Ernährung, um gesund aufzuwachsen. Die Zellmasse muss bei Kleinkindern erst aufgebaut werden, dafür sind tierische Stoffe notwendig.
(Frankfurter Rundschau, 04.05.2012)
Von veganer Kost, bei der auf tierische Produkte wie Eier und Milchprodukte verzichtet wird, rät [Antje] Gahl [von der DGE] hingegen ab: „Bei veganer Ernährung besteht für Kinder die Gefahr einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen.“ Vegetarisch ja, vegan nein: So sieht es auch die Ernährungswissenschaftlerin Alexandra Borchard-Becker von der Verbraucher Initiative.
(Volksstimme, 18.04.2012)
Patienten mit erhöhtem Nährstoffbedarf, Säuglingen und Kleinkindern, Heranwachsenden, Senioren, Schwangeren und Stillenden ist von einer rein pflanzlichen Kost abzuraten.
(UGB-Forum Spezial 2007, 11)
Entscheiden Eltern oder Kinder sich für eine ausgewogene und abwechslungsreiche ovo-lacto-vegetarische Ernährung – ohne Fleisch und Fisch, aber mit Eiern und Milchprodukten – so kann diese als Dauerkost empfohlen werden. Ernähren sich Kinder und Jugendliche rein pflanzlich, in dem sie komplett auf tierische Lebensmittel – bis hin zu Honig – verzichten, werden sie als Veganer bezeichnet. Eine vegane Ernährung hält die DGE im gesamten Kindesalter für ungeeignet.
(DGE-Pressemitteilung, 2011)
(Der Standard, 26.04.2012)
[Frage:] Wer sollte sich auf keinen Fall vegan ernähren? [Antwort:] Kinder. Sie brauchen eine ausgewogene Ernährung, um gesund aufzuwachsen. Die Zellmasse muss bei Kleinkindern erst aufgebaut werden, dafür sind tierische Stoffe notwendig.
(Frankfurter Rundschau, 04.05.2012)
Von veganer Kost, bei der auf tierische Produkte wie Eier und Milchprodukte verzichtet wird, rät [Antje] Gahl [von der DGE] hingegen ab: „Bei veganer Ernährung besteht für Kinder die Gefahr einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen.“ Vegetarisch ja, vegan nein: So sieht es auch die Ernährungswissenschaftlerin Alexandra Borchard-Becker von der Verbraucher Initiative.
(Volksstimme, 18.04.2012)
Patienten mit erhöhtem Nährstoffbedarf, Säuglingen und Kleinkindern, Heranwachsenden, Senioren, Schwangeren und Stillenden ist von einer rein pflanzlichen Kost abzuraten.
(UGB-Forum Spezial 2007, 11)
Entscheiden Eltern oder Kinder sich für eine ausgewogene und abwechslungsreiche ovo-lacto-vegetarische Ernährung – ohne Fleisch und Fisch, aber mit Eiern und Milchprodukten – so kann diese als Dauerkost empfohlen werden. Ernähren sich Kinder und Jugendliche rein pflanzlich, in dem sie komplett auf tierische Lebensmittel – bis hin zu Honig – verzichten, werden sie als Veganer bezeichnet. Eine vegane Ernährung hält die DGE im gesamten Kindesalter für ungeeignet.
(DGE-Pressemitteilung, 2011)
Vegane Kinderernährung ist nicht möglich. Darin sind sich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und als Vertreterin der Ernährungswissenschaft wie auch esoterische Ernährungsexperten wie Raya Gericke (im obigen Zitat der Frankfurter Rundschau), die eine „Ausbildung in chinesischer Diagnose und Ernährungslehre absolviert“ (Keilbach 2012) hat, einig. Den noch glaubhaftesten Nachweis dafür hat die DGE erarbeitet, wie in einer Pressemitteilung des letzten Jahres verbreitet wurde (daraus das letzte obige Zitat). In dieser „ausführliche[n] Fachinformation“ (DGE-Pressemitteilung 2011) mit dem Titel „Vegane Ernährung: Nährstoffversorgung und Gesundheitsrisiken im Säuglings- und Kindesalter“1 und ihren insgesamt 54 wissenschaftlichen Quellen sollen diese Behauptungen nachgewiesen werden. Dieser Text (im Folgenden: das DGE-Positionspapier) besteht aus einer Einleitung sowie einem Fazit und diskutiert im Hauptteil (neben einem kurzen allgemeinen Abschnitt) die Nährstoffe: Energie/Protein, Eisen, Calcium, Jod, Zink, Vitamin B12, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. In dieser kritischen Auseinandersetzung überprüfe ich, welche Behauptungen richtig und vor allem fundiert sind, und welche nicht.
Was ist vegane Ernährung?
Das Kernproblem des DGE-Positionspapiers ist so trivial wie folgenreich: Die DGE weiß nicht, was vegane Ernährung ist. Ich lasse beiseite, dass mehrmals von „rein pflanzlicher“ Ernährung die Rede ist (u.a. im ersten Satz) und es keine Ernährungsform gibt, die auf anorganische (und damit nicht-pflanzliche) Stoffe wie Wasser oder Mineralien wie Salz verzichten kann. Viel wesentlich ist, dass viele Quellen, auf die sich das DGE-Positionspapiers stützt – das, zur Erinnerung, unter dem Titel „Vegane Ernährung“ steht –, keine Veganer zum Untersuchungsgegenstand haben.
Die größte Gruppe davon bilden die Untersuchungen, die sich (ausdrücklich) mit der makrobiotischen statt veganer Ernährung befassen, wie meist schon aus dem Titel oder spätestens aus dem Abstract ersichtlich ist: Dagnelie et al. 1989, Dagnelie et al. 1990, Dagnelie/Staveren 1994, Dagnelie et al. 1994, Parsons et al. 1997, Dusseldorp et al. 1996, Dwyer et al. 1979, Dwyer et al. 1982, Dagnelie et al. 1991 und Specker et al. 1990. Die DGE schreibt, dass Makrobiotik eine Ausprägung unter der „Vielzahl von Ausprägungen der veganen Ernährung“ sei. Sie sieht sich jedoch genötigt, anschließend zu ergänzen: „je nach Ausgestaltung des makriobiotischen Prinzips“ kann die Ernährung „in begrenztem Maße Fisch [enthalten] (womit die Ernährungsweise im eigentlichen Sinne nicht mehr vegan ist)“.2 Makrobiotik ist also eine nicht-vegane Ausprägung der veganen Ernährung. Vom Falschen zum Widersprüchlichen.
Doch die DGE lässt sich davon nicht irritieren. Weitere vier Ernährungsformen, die in den verwendeten Quellen behandelt werden und die das DGE-Positionspapier durch seine Verwendung der „veganen Ernährung“ unterordnet, sind:
1) Die Ernährungslehre „I-Tal“ der Rastafarier-Religion; betrifft die Quelle James et al. 1985. Diese Ernährungslehre enthält unter anderem den Konsum von Fischen (wenn sie eine religiös vorgeschriebene Länge nicht überschreiten). Ich zitiere zum Vergleich den Duden: Veganismus ist die „ethisch motivierte Ablehnung jeglicher Nutzung von […] tierischen Produkten“. Das Fleisch von Fischen ist ein Tierprodukt; eine religiöse Ernährungsform ist religiös motiviert, nicht ethisch.
2) Die Ernährungsweise der Religion der Schwarzen Hebräer; betrifft Zmora et al. 1979 und Shinwell/Gorodischer 1982. Die Schwarzen Hebräer sind eine jüdische Sekte, die ihre Ernährung nach ihrer Interpretation der Bibel ausrichtet. Ich zitiere den Duden: Veganismus ist die „ethisch motivierte Ablehnung jeglicher Nutzung von […] tierischen Produkten“. Eine religiöse Ernährungsform ist religiös motiviert, nicht ethisch.
3) Alles Mögliche, nur keine vegane Ernährung; betrifft Jacobs und Dwyer 1988, Dwyer et al. 1983, Sanders/Reddy 1994, Acosta 1988, Kirby/Danner 2009 und Krull/Ohlendorf 1993. Bei Jacobs/Dwyer 1988 werden neben echten Veganern unter „vegan-artige Ernährungsformen“ u.a. auch Makrobiotiker, Rastafarier, Schwarze Hebräer und Frutarier subsumiert. In ihren Tabellen geben sie drei Fälle eines Nährstoffmangels (zweimal Vitamin D, einmal Eisen) bei „veganen“ Kindern an. Die Überprüfung zeigt: Beim einen Fall für Vitamin-D-Mangel kommentieren Jacobs/Dwyer selbst, dass es wahrscheinlich Rastafarier sind (ebd., 815); beim zweiten Fall kann man bereits im Abstract der betreffenden Studie (das ist: Hellebostad et al. 1985) lesen, dass es sich um vegetarische Kinder handelt, da sie u.a. mit Kuhmilch ernährt wurden; und in Bezug auf Eisenmangel geben Jacobs/Dwyer mit Verweis auf eine andere Studie an, er sei bei „einem von vier“ veganen Kindern möglich (ebd., 814), geht man dieser Studie nach (d.i. Roberts et al. 1979), stellt sich heraus, dass dieser eine von vier Fällen ein ausschließlich mit eingeschränkter Rohkost ernährtes Kind betraf (die anderen drei Fälle sind übrigens Makrobiotiker). Eingeschränkte Rohkost kann Tierprodukte ausschließen, wird damit jedoch nicht zu einer veganen Ernährung. – Dwyer et al. 1983 vergleicht Makrobiotiker mit Vegetariern und Omnivoren. Was man daraus für Veganer, die nicht explizit vorkommen, schließen soll, bleibt rätselhaft. Man könnte vermuten, dass ein Teil der hier als Vegetarier Bezeichneten Veganer sind, aber ohne Abgrenzung nützt diese Information wenig. – Sanders/Reddy 1994 diskutieren Untersuchungen von u.a. (vegetarischen, nicht veganen) Hindus, sowie Makrobiotikern und Siebten-Tags-Adventisten. Dass auch eindeutig vegane Kinder unter den untersuchten Personen (bei den als Vegetarier Bezeichneten) gewesen wären, lässt sich nicht ausmachen. – Acosta 1988 stützt sich ebenfalls tlw. auf Quellen, die von Makrobiotikern und Anthroposophen handeln. Ob manche der Untersuchungen tatsächliche Veganer behandeln, lässt sich nicht ausmachen. Da Acosta jedoch u.a. die Auswirkung von Honig auf die Aufnahme von Aminosäuren diskutiert, scheint das unwahrscheinlich. – Kirby/Danner 2009 (an einer Stelle im DGE-Positionspapier steht fehlerhaft „Kirby und Danner 2010“) ist auch nur ein theoretischer Text, der Schlussfolgerungen aus zitierten Untersuchungen zieht. Für das kurze Stück, in dem Veganismus bei der Besprechung von Vegetarismus gelegentlich erwähnt wird (ebd., 1092–1094), sind das: Sanders/Reddy 1994 (s.o.); eine Quelle von 1980, bei der in Titel oder Abstract kein Bezug zu Veganismus besteht; einem Fall eines B12-Mangels bei einem gestillten Säugling einer „veganen“ Mutter (Weiss et al. 2004), die in den letzten Jahren „fast“ (ebd., 270) keine Tierprodukte konsumierte habe, sprich: nicht vegan war; sowie allgemeinen Quellen. Im DGE-Positionspapier wird also eine Quelle zur Unzulänglichkeit der veganen Ernährung herangezogen, die sich selbst auf keine einzige Untersuchung, die mit veganen Probanden durchgeführt wurde, stützen kann. Das ist nur einer von vielen Fällen der Vererbung (und nebenbei Verwischung) von fehlerhaften Methoden. – Krull/Ohlendorf 1993 geben einen Fallbericht von zwei Kleinkindern, die aufgrund von Neurodermitis mit einer „vegetarischen Diät“ ernährt wurden. Die Beschreibung lässt zwar die Möglichkeit zu, dass hier tatsächlich alle tierlichen Produkte vermieden wurden, jedoch sind die Werte von mehreren Nährstoffen der Blutuntersuchung untypisch für eine vegane Ernährung (ebd., 482). (Dass diese Befunde außerdem mit mehreren anderen Aussagen des DGE-Positionspapiers im Widerspruch stehen, wurde von den Autoren der DGE wohl übersehen.)
4) Und schließlich omnivore oder vegetarische Ernährung. Quellen, deren untersuchte Personen wegen des Konsums von Tierprodukt durch Kind und/oder Eltern nicht vegan waren; betrifft Massa et al. 2001, Kanaka et al. 1992, Wagnon et al. 2005 und Schlapbach et al. 2007. Bei Massa et al. 2001 waren sowohl Kind, als auch Eltern nicht vegan. Der Reis-Milch (die dem Kind auf Empfehlung eines Homöopathen (!) gegeben wurde) wurde eine Ergänzung auf Kuhmilchbasis beigemengt. – Bei Kanaka et al. 1992 hat die Mutter dem Kind erst Pränahrung auf Kuhmilchbasis gegeben und dann eine Mischung aus Wasser und Mandelmilch (nicht etwa vegane Pränahrung auf Sojabasis, wie Veganer das tun würden). – Bei Wagnon et al. 2005 haben die Probanden laut Bericht einmal pro Woche eine Mahlzeit gegessen, die „Ei oder Fisch“ (ebd., 610) enthielt. Ich zitiere erneut den Duden: Veganismus ist die „ethisch motivierte Ablehnung jeglicher Nutzung von […] tierischen Produkten“. Kuhmilch, Eier und Fische sind ein Tierprodukte. – Bei Schlapbach et al. 2007 ernährte sich die Mutter „weitgehend [!] veganisch [sic]“ (ebd., 1309), konsumierte also ebenfalls irgendwelche nicht-veganen Produkte.
Was ist vegane Ernährung nicht?
Die Autoren der DGE und alle anderen Ernährungswissenschaftler, die diese Methoden praktizieren, würden bei zumindest einigen Fällen dagegenhalten, der Grund für die Vermeidung von Tierprodukten (ob religiös motiviert oder ethisch) bzw. der Tierproduktkonsum in geringfügigen Ausmaßen mache aus ernährungsphysiologischer Sicht keinen bedeutenden Unterschied. Daher seien auch diese Quellen für Rückschlüsse auf vegane Ernährung zulässig.
Das ist aus zwei Gründen fragwürdig. Zum einen sollen gerade Ernährungswissenschaftler wissen, wie schwer sich einzelne Faktoren der Ernährung isolieren lassen. Bei all den oben genannten Fällen ist Menge und Zusammensetzung der nicht-veganen Anteile an der Ernährung meist gänzlich unklar. Welche Beobachtungen dann auf welche Faktoren der veganen und auf welche der unveganen Anteile zurückgehen, bleibt meist nur Spekulation.
Zum anderen weisen diese nicht-veganen Ernährungsformen und Ernährungslehren, die auch gerne unter „alternative Ernährungsformen“ oder „neuer Vegetarismus“ zusammengefasst werden, deutliche Unterschiede in der Lebensmittelauswahl und dem Umgang mit Erkrankungen und Risikofaktoren auf.3 So lehnt die am häufigsten zitierte Makrobiotik tlw. außerdem Kartoffeln, Tomaten, importierte Obst- und Gemüsesorten, Früchte und Zucker ab (Grüttner 1991, 450; Kirby/Danner 2009, 1094) und den auch gerne zu Veganern erklärten Rohköstlern fehlen für die Eiweißversorgung wichtige Hülsenfrüchte um nur zwei Beispiele zu nennen. Durch solche aus Sicht der veganen Ernährung unnötigen Einschränkungen von wichtigen pflanzlichen Nahrungsmitteln kommt es viel eher als bei tatsächlichem Veganismus zu den kritisieren Engpässen bei der Versorgung mit einzelnen Nährstoffen. So haben die Schwarzen Hebräer Säuglinge, wenn sie nicht gestillt wurden bzw. danach, mit „Sojamilch“ ernährt. Nicht etwa veganer Pränahrung auf Sojabasis, sondern tatsächlich einer Mischung aus Sojamehl und Zucker (Shinwell/Gorodischer 1982, 582; sehr ähnlich Zmora et al. 1979, 141). Wie die Ernährung mit Mandelmilch bei Kanaka et al. 1992 muss das selbstverständlich diverse Nährstoffmangel nach sich ziehen. Nur würde kein (tatsächlicher) Veganer auf solch eine absurde Idee kommen, sondern auf die verfügbaren veganen Pränahrungen nutzen.
Genauso weitreichend ist die häufige Ablehnung der Einnahme von Supplementen, die „chemisch“ und daher „unnatürlich“ sind, sowie die Ablehnung medizinischer Betreuung (beispielsweise Zmora et al. 1979, 143; oder Wagnon et al. 2005, 611; oder Grüttner 1991, 450). Wenn man bei Vermeidung von Tierprodukten Vitamin-B12-Supplemente ablehnt (wie die Schwarzen Hebräer in Zmora et al. 1979, 141), kommt es selbstverständlich zu einem Mangel, während Veganer keinerlei Probleme damit haben auf Supplemente zurückzugreifen.
Ich sehe mich genötigt, das Offensichtliche festzuhalten: nur vegane Ernährung ist vegan. Wäre das DGE-Positionspapier unter einem Titel wie „Ernährungsformen mit teilweisem oder gänzlichem Abschluss von tierlichen Produkten“ erschienen und wären darin die einzelnen Ernährungsformen einzeln behandelt worden, wäre es nur noch irreführend gewesen. In der vorliegenden Form ist es verfälschend.
Was übrig bleibt
Ich komme zurück zur Frage, was diese Quellenlage für die wissenschaftliche Qualität des DGE-Positionspapiers bedeutet. Wenn man von den 54 Quellenangaben die abzieht, die allgemeine Aussagen machen (z.B. Vitaminlexika, Empfehlungen zu Tagesdosen, allgemeine Untersuchungen von Nährstoffverhalten), sowie die, die Zusammenfassungen ohne Bezug auf Studien von Veganern bieten,4 und die zusammenzählt, die konkrete Ernährungsweisen untersuchen, bleiben von 54 Quellen noch 40 übrig. Davon beträgt die Anzahl der Quellen, die nach obigen Feststellungen nicht für die Bewertung von veganer Ernährung herangezogen werden können, 23 (alle im ersten Abschnitt genannten). Das heißt mehr als 57 % der Studien betreffen keine Veganer (die tatsächliche Anzahl dürfte noch höher liegen). Wäre die zu untersuchende Probe eines Chemikers zu 57 % mit Urin verunreinigt, erhielte er nicht nur falsche Ergebnisse, er würde sich wissenschaftlich auf Äußerste blamieren. In der Ernährungswissenschaft scheint das gleiche Vorgehen kaum Bedenken zu bereiten.
Zwar wird im Positionspapier an ein paar Stellen explizit von „makrobiotischen“ bzw. „makrobiotisch ernährten“ Kindern gesprochen. Aber dies geschieht zum einen nicht an allen Stellen, an denen Quellen benutzt werden, die Makrobiotiker statt Veganer behandeln, und zum anderen fehlt eine solche Differenzierung bei den anderen Quellen, deren untersuchte Probanden ebenfalls nicht-veganer Ernährungsformen folgen. Und zur Wiederholung: Das alles läuft unter der Überschrift „Vegane Ernährung“. Nicht etwa „Vegane Ernährung zum Großteil bewertet anhand von Nicht-Veganern“.
Dazu kommt die Problematik der Aktualität der Quellen, die im DGE-Positionspapier benutzt werden. Im Positionspapier der ADA, das der DGE vorlag und das auch hier zitiert wurde, wird ausdrücklich auf die Problematik alter Untersuchungen hingewiesen (ADA 2009, 1267). Anhand dieser ließen sich nur sehr bedingt Aussagen über heutige Verhältnisse treffen. In den letzten 23 Jahren hat sich einiges an der veganen Ernährung verbessert. Z.B. was die Proteinzufuhr durch wesentlich bessere Verfügbarkeit von Soja- und Seitanprodukten betrifft, als auch die Verringerung von hemmenden Inhaltsstoffen (bspw. Phytaten) durch bessere Produktverarbeitung. Bei der ADA stammen von insgesamt 204 Quellen stammen nur zwei aus den 1970er Jahren (beide allgemein, keine bestimmte Ernährungsform betreffend) und elf aus den 1980er Jahren (wovon fünf allgemein sind und keine bestimmte Ernährungsform betreffen). Bei der DGE stammen von insgesamt 54 Quellen zwei aus den 1970er, acht aus den 1980er Jahren. Während bei der ADA also nur 6,3 % der Quellen aus der Zeit vor 1990 stammen, sind es bei der DGE mit 18,5 % fast drei Mal so viele.
Ein weiterer Punkt: es fehlen deutliche Hinweise auf positive gesundheitliche Auswirkungen veganer Ernährung. Da Veganismus ethisch motiviert ist, ist das für Veganer selbst zwar kein Kriterium. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht jedoch gehören der Vollständigkeit halber zumindest Lippenbekenntnisse über die gesundheitlichen Vorteile zu einer Bewertung. Zu diesen Vorteilen gehören beispielsweise die geringeren Risiken, an weit verbreiteten Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, ischämischen Herzkrankheiten, Prostata-, Dickdarm-, Magen-, Blasen- und Ovarialkrebs zu erkranken. Oder die bessere Versorgung mit Nährstoffen, mit denen die meisten sich „normal“ ernährenden Menschen weniger gut versorgt sind, wie Folsäure, Magnesium, Kalium, Vitamin C, Vitamin E, Folsäure, Karotinoide und sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide oder Polyphenole; bzw. die geringere Aufnahme von negativ bewerteten Nährstoffen wie Cholesterin oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren (ADA 2009, Keller 2012). All dies gilt natürlich auch für Kinder und wäre zumindest in einem Halbsatz erwähnenswert. Nicht so bei der DGE. Sie betitelt ihren Text mit „Vegane Ernährung: Nährstoffversorgung und Gesundheitsrisiken im Säuglings- und Kindesalter“ und fährt nach der Einleitung fort mit: „Potenziell kritische Nährstoffe und Gesundheitsrisiken bei veganer Ernährung“. Andererseits verwundert das in einem Fall, bei dem es so eklatant an wissenschaftlicher Objektivität und Redlichkeit mangelt, auch nicht mehr.
Es verwundert auch nicht mehr, wenn hinter sechs Quellenangaben der DGE steht in Klammern: „Abstract“. Eine Quelle überhaupt vollständig zu lesen, scheint schon nicht mehr notwendig.
Vorteile zu verschweigen, veraltete Quellen zu benutzen und vor allem alle möglichen Ernährungslehren als Veganismus zu deklarieren, sind keine neuen Methoden bei Versuchen, Veganismus im Misskredit zu bringen. Bereits vor achtzehn Jahren hat Gary Varner auf solches Vorgehen vieler ernährungswissenschaftlicher Aufsätze (hier: im anglo-amerikanischen Raum) hingewiesen (Varner 1994)5. Geändert hat sich die Situation bis heute, wie man sieht, nicht bei allen.
Kritik der einzelnen Nährstoffe
Mehr als die Hälfte der genannten Quellen betreffen keine Veganer und es ist daher unzulässig, sich bei der Bewertung veganer Ernährung auf sie zu stützen. Trotzdem bleibt noch knapp die Hälfte übrig. Entsprechend der Abfolge im DGE-Positionspapier sollen nun die dortigen Aussagen anhand der übrig bleibenden Quellen überprüft werden.
Allgemein
Im ersten Abschnitt („Allgemein“) wird eine Reihe von potenziell kritischen Nährstoffen aufgezählt. Die Quellen, die nach dem Ausschluss übrig bleiben, sagen auch nicht mehr als das: ein Mangel ist potenziell möglich. Das ist er bei fast allen Nährstoffen bei allen Ernährungsformen. Daraus kann man nicht viel mehr ableiten, als dass darauf zu achten ist und ggf. zu kontrollieren. Für die Unmöglichkeit gesunder veganer Kinderernährung spricht das nicht.
Energie und Protein
Sortiert man im Abschnitt „Energie und Protein“ wieder die nicht zutreffenden Quellen aus, bleiben immerhin drei Quellen übrig.
Die erste ist BfR 2007, laut der „[n]icht oder nicht voll gestillte Säuglinge [..] Sojaerzeugnisse nur in begründeten Ausnahmefällen und nach ärztlicher Empfehlung regelmäßig bekommen [sollten]“. Was die DGE nicht sagt, ist weshalb das BfR zu dieser Schlussfolgerung gelangt. Die Aussagen sind gerade hinsichtlich der Bewertung von Sojanahrung nicht uninteressant: Zuerst heißt es, die Ablehnung von Säuglingsnahrung auf Sojabasis wegen des Isoflavon-Gehalts stütze sich nur auf Tierversuchsergebnisse und In-vitro-Untersuchungen über Isoflavone, sodass diese Ergebnisse kaum übertragbar sind, da die Versuchstiere einen anderen Isoflavon-Stoffwechsel aufweisen als Menschen (BfR 2007, 3). Weiterhin wird gesagt, trotz höherer Isoflavon-Spiegel wurden keine negativen Auswirkungen bei Säuglingen und älteren Probanden festgestellt (ebd., 2, 3, 4); es liegen keine langfristigen Studien zur Auswirkung von Sojasäuglingsnahrung vor (ebd., 2; allerdings ist in den USA Sojasäuglingsnahrung seit über 40 Jahren in Gebrauch und das ohne bekannte negative Folgen); alle Studien, die negative Auswirkungen zu erkennen glaubten, sind veraltete und weisen mangelhafte Studiendesigns auf und/oder konnten keinen statistischen Zusammenhang aufzeigen, sondern nur Vermutungen anstellten (ebd., 2, 3, 4 bzw. ebd., 2, 4). Als Gründe sich gegen Sojasäuglingsnahrung auszusprechen bleibt beim BfR letztlich eine als nicht optimal bewertete Nährstoffzusammensetzung übrig (ebd., 5), betreffend, dass etwas mehr Eiweiß enthalten sein könnte und etwas weniger Phytate. Dieses Bedenken sollten in modernen Sojasäuglingsnahrungen jedoch inzwischen angepasst sein. Ein Blick auf die Nährstoffzusammensetzung kann Klarheit schaffen und die Nahrung des Säuglings ggf. entsprechend angepasst werden. Einen Grund gegen vegane Kinderernährung bietet das nicht, eher einen Hinweis für Hersteller.
Zu ergänzen ist eine neuere Studie, die einmal überprüft hat, ob es tatsächlich klinisch nachgewiesene Fälle gibt, bei denen sich negative Auswirkungen durch Sojasäuglingsnahrung bei Menschen nachweisen lassen (Vandenplas et al. 2011). Die Antwort ist: Es gibt keinen einzigen. Sojasäuglingsnahrung ist für Veganer daher nach wie vor eine unbedenkliche Möglichkeit, wenn das Stillen nicht möglich sein sollte.
Die zweite Quelle der DGE ist eine positive (Young und Pellett 1994) mit der Aussage, durch pflanzliche Nahrungsmittel könnten alle notwendigen Aminosäuren gedenkt werden.
Die dritte Quelle ist Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al. 1997. Sie soll als Beleg dafür herhalten, dass „der Bedarf an unentbehrlichen Aminosäuren in Phasen hohen Bedarfs wie dem Wachstum nicht ausschließlich durch pflanzliches Protein gedeckt werden“ kann, sondern tierliches erfordert. Sehr überzeugend ist diese Aussage jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass es (worauf auch im DGE-Positionspapier hingewiesen wird) Gegenmeinungen gibt (eben Young und Pellett 1994); dass sich Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al. für diese Behauptung zweimal selbst zitieren müssen und ihre dritte Quelle 25 Jahre alt ist (ebd., 313; zum Problem alter Studien s.o.); und dass durchaus einige seit Geburt vegan ernährte Kinder in fortgeschrittenem Alter existieren, die sich offenkundig normal entwickelt haben.
Bemerkenswert an diesem Abschnitt ist auch, was nicht darin steht. Zum Beispiel wurde die Quelle Abdulla et al. 1981 im Abschnitt zu Jod benutzt. Allerdings wird bei Abdulla et al. auch die für diesen Abschnitt relevant Aussage getroffen, dass die Aufnahme von essentiellen Aminosäuren aller Probanden dieser Studie die Empfehlungen überschritt. Ebenso wenig wurde die Studie Sanders 1988 herangezogen, was auffällig ist, da von Sanders zwei andere Studien zu den Quellen gehören und diese nicht weniger relevant ist. Sanders schlussfolgerte bereits 1988 hinsichtlich des Wachstums, dass „entsprechende Sorgfältigkeit [care] vorausgesetzt, vegane Ernährung normales Wachstum und normale Entwicklung gewährleisten kann“. Oder die ebenfalls recht alte Untersuchung (O’Connell et al. 1989), die zum Schluss kommt, vegan ernährte Kinder hätten ein geringfügig weniger umfangreiches, aber normales Wachstum. Dass Studien von den Autoren der DGE selektiv ausgewertet wurden bzw. selektiv recherchiert worden sei, will ich damit natürlich nicht behaupten.
Eisen
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen, bleiben übrig: null. Nun ja. Was die DGE ansonsten schreibt, ist trotzdem der Mitteilung wert: „Ob sich der Eisenstatus von vegan bzw. vegetarisch ernährten Kleinkindern mit einer abwechslungsreichen Lebensmittelauswahl und dem Verzehr von Vollkornbrot als Grundlebensmittel sowie von Vitamin C-reichem Obst und Gemüse von dem von omnivor ernährten Kleinkindern unterscheidet, ist aufgrund der unzureichenden Datenlage unklar.“ Neben dem Hinweis, eisenhaltige Nahrung mit Vitamin-C-haltiger Nahrung zu kombinieren, gelten vielmehr allgemeine Empfehlungen zur Vermeidung eines Eisenmangels für Säuglinge (Aggett et al. 2002), die natürlich auch vegane Kinder betreffen: ausschließliches Stillen bis zum 6. Monat bzw. Verwendung eisenangereicherter Pränahrungen bzw. Zufuhr eisenreicher Beikost, ggf. eine moderate Supplementation. Selbst die DGE, die vegane Kinderernährung ablehnt, kommt also zu dem Schluss, dass Eisenmangel kein veganes Problem ist.
Was wiederum nicht in diesem Abschnitt steht sind z.B. die Ergebnisse bei Abdulla et al. 1981 (die, wie bereits erwähnt, im Abschnitt zu Jod herangezogen wird, nicht aber in diesem): Hier waren die Werte für Eisen (sowie Magnesium und Zink) bei der veganen Gruppe höher als bei der omnivoren Vergleichsgruppe. Das lässt sich sicher nicht verallgemeinern, hätte dennoch diskutiert werden müssen. Oder die Studien von Craig 1994 und Larsson/Johansson 2002 mit der Aussage, Eisenmangel sei unter veganen Kindern bzw. jungen Veganern nicht signifikant häufiger als unter omnivoren. Dass Studien von den Autoren der DGE selektiv ausgewertet wurden bzw. selektiv recherchiert worden sei, will ich damit natürlich nicht behaupten.
Calcium
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen, bleibt übrig: eine. Das ist die Aussage der American Dietetic Association (2009), Kalzium-angereicherte Lebensmittel könnten einen signifikanten Beitrag zur Kalziumversorgung bei Veganern leisten. Wenn man bedenkt, dass beispielsweise fast keine Sojamilch mehr erhältlich ist, die nicht den gleichen Kalziumgehalt wie Kuhmilch aufweist, dürfte es für die meisten Veganer eher schwierig werden, Kalzium-angereicherte Lebensmittel zu vermeiden.
Zum dritten Mal nicht erwähnt wurde Abdulla et al. 1981. In diesem Fall mit dem Ergebnis, dass der Kalziumspiegel der untersuchten Veganer fast gleich mit dem der omnivoren Vergleichsgruppe war. Und das im Jahr 1981. Dass Studien von den Autoren der DGE selektiv ausgewertet wurden, will ich damit usw.
Jod
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen (Prophylaxe-Empfehlungen), bleiben übrig: drei. Das beste Ergebnis bisher.
Laut Abdulla et al. 1981 und Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al. 2003 sei die Jodaufnahme bei Veganern geringer. Jedoch sagt Abdulla et al. auch, dass dennoch keine Zeichnen einer Unterversorgung bei Veganern festgestellt wurden. Und Kraj?ovi?ová-Kudlá?ková et al., dass Omnivoren ohne jodiertes Speisesalz (und dessen Verwendung in weiterverarbeiteten Lebensmitteln) wenig Jod aufnehmen würden (ebd., 185). Da Mitteleuropa allgemeines Jodmangelgebiet ist und die Empfehlung, zweimal wöchentlich Fleisch von Hochseefischen zu essen, laut Verzehrstatistik kaum jemand erreicht, bleibt Jodsalz die sicherste Versorgungsquelle, unabhängig von der Ernährungsform.
Shaikh et al. 2003 als dritte Quelle soll eine Fallbeschreibung eines veganen Kindes mit Jodmangel enthalten. Laut diesem Bericht wurde das Kind nur sechs Tage lang gestillt und bekam dann Sojasäuglingsnahrung, die wie alle (auch nicht-vegane) Säuglingsnahrung mit Jod angereichert ist. Das darin zugesetzte Jod hat dann die schlechten Jod-bezogenen Blutwerte verbessert, wie die Autoren vermuten (ebd., 113). Das Problem lag also bei der Mutter, deren Jodzufuhr zu gering war und hätte auch anders ernährte gestillte Kinder betroffen.
Wie darüber hinaus in diesem Abschnitt betont wird, sollen laut allgemeinen Empfehlungen alle Säuglinge unabhängig ihrer Ernährungsform einer Jodprophylaxe erhalten. Mögliche Fälle von Jodunterversorgung gehen daher viel eher auf die Nicht-Beachtung dieser ärztlichen Empfehlung zurück, als von der Ernährungsform.
Die Aussage, dass die Jodprophylaxe bei veganen Kindern auch nach dem Stillen fortgeführt werden soll (nach der Quelle Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde 1996), findet sich in angegebener Quelle nicht. Dennoch ist bei veganen, wie auch nicht-veganen, Kindern auch nach der obligatorischen Jod-Prophylaxe auf eine ausreichende Versorgung durch Jodsalz, jodsalzhaltige Lebensmittel oder andere Quellen zu achten.
Zink
Für diesen Abschnitt gibt es keine auf vegane zutreffende Studie. Das ADA-Positionspapier rate jedoch „mit Einführung von Beikost zu einer individuellen Beurteilung der Zinkzufuhr und in Abhängigkeit des Ergebnisses zu einer Zufuhr von Supplementen oder angereicherten Lebensmitteln“. Die DGE hält diese „individuelle Vorgehensweise“ für „in der Praxis wenig realistisch“. Leider ohne Erklärung, weshalb sie „wenig realistisch“ sei. Mir fällt kein Grund ein, weshalb man die Blutwerte nicht überprüfen lassen können und ggf. supplementieren sollte, falls man nicht gleich vorsorglich supplementiert.
Um mehr Informationen zu liefern als das „Es geht nicht, aber wir verraten nicht, weshalb“ der DGE: Zink sollte nicht mit Lebensmitteln reich an Phytaten (v.a. in Getreide und Getreideprodukten) und/oder reich an Kalzium (bzw. Kalziumsupplementen) zu sich genommen werden, da dies die Resorption vermindert. Zur Zinkversorgung empfehlenswert ist der Konsum von beispielsweise Nüssen (Para-, Erd- und Walnüsse), Sojaprodukten und Haferflocken.
Vitamin B12
Bei diesem Abschnitt müsste die DGE „leichtes Spiel“ haben, da es eindeutig ist, dass bei einem Vitamin-B12-Mangel der Mutter Neugeborene und gestillte Kinder kein Vitamin B12 aufnehmen. Und ein solcher Mangel ist zwangsläufig der Fall, wenn die vegane Mutter nicht direkt supplementiert oder angereicherte Nahrungsmittel zu sich nimmt, wobei die Anreicherung von Lebensmitteln vergleichsweise neu ist. Trotzdem bleiben hier lediglich vier Quellen, die (möglichweise) Veganer betreffen, übrig. Und selbst bei diesen (offensichtliche Nicht-Veganer sind bereits ausgeschlossen) kann nicht sicher festgestellt werden, dass es sich bei den untersuchten Personen um Veganer gehandelt hat.
Bei Lücke et al. 2007 werden vier Fälle beschrieben. Die Mutter des dritten Falls ernährte sich „nahezu vegan“ (ebd., 159) (also nicht vegan). Über die Ernährung von Mutter oder Säugling der anderen drei Fälle gibt es keine Angaben. In Anbetracht der Wortwahl (die Mutter des vierten Falls ernähre sich „veganisch“ (ebd.)) und der Feststellung, dass es sich zwei von vier angeführten Quellen von B12-Mangel bei angeblichen Veganern (ebd., 160) offensichtlich um keine Veganer handelt,6 ist zweifelhaft, ob die anderen drei hier beschriebenen Fälle nicht auch Anhänger irgendwelcher Ernährungslehren statt Veganer betreffen.
Bei Stötter und Mayrhofer 1996 betrifft ihr erster Querverweis auf bisherige Fälle veganen B12-Mangels Makrobiotiker (ebd., 4) und unter den Quellen finden sich noch weitere Studien zu Makrobiotikern (z.B. zu Dagnelie 1989). Von ihren vier Fallbeispielen, die alle „vegan“ waren, erhielt eines „ab und zu Milchprodukte“ (ebd., 5). Offensichtlich kann Stötter vegane Ernährung nicht von unveganer (egal welcher Art) unterscheiden, daher ist es fraglich, ob die anderen drei Fälle vegan waren.
Weitere Fälle würde bei Dror/Allen (2008) aufgeführt. Überprüft man diese Quelle, erschließt sich, weshalb einige der zitierten bereits keine Veganer waren. Denn Dror/Allen treffen keine Unterscheidung zwischen Veganismus und (prinzipiell oder potenziell nicht-veganen) Ernährungslehren wie Makrobiotik und anderen oben aufgeführten. Bedenkt man die übliche Vermischung, infolge derer (wie beim DGE-Positionspapier) durchschnittlich nicht einmal die Hälfte der Fälle auf tatsächliche Veganer beruhen, dürfte auch bei Dror/Allen die Anzahl der tatsächlichen Veganern wahrscheinlich nicht sehr hoch sein.7
Bei Sklar 1986 (falls es sich hier um Veganer handelt)8 liegt der Mangel daran, dass die Mutter keine Supplemente erhielt bzw. nahm (ebd., 219). Damit wird nicht mehr als das Offensichtliche bestätigt.
Festzuhalten ist jedoch, dass die DGE aus all diesen Fällen (angeblichen) Vitamin-B12-Mangel nur schließt, entsprechend auch den Empfehlungen der ADA regelmäßig Vitamin B12 zu supplementieren.9 Etwas anderes lässt sich daraus auch nicht ableiten. Eine Supplementierung ist einfach, billig und sicher. Und gerade wegen der Wichtigkeit dieses Vitamins für die Entwicklung des Nervensystems und der Anfälligkeit der Resorption (sodass trotz Aufnahme kaum etwas in den Blutkreislauf gelangt), ist eine Supplementierung auch für nicht-vegane Mütter mindestens während Schwangerschaft und Stillzeit empfehlenswert. So ist es nicht schwer Beispiele zu finden, bei denen bei nicht-veganen Kindern von nicht-veganen (omnivoren) Müttern ein Vitamin-B12-Mangel festgestellt wurde (z.B. Ide et al. 2011 oder Quentin et al. 2012), was hätte vermieden werden können.
Vitamin D
Wenn man für diesen Abschnitt die Quellen abzieht, die keine Veganer betreffen oder die nur allgemeine Aussagen machen, bleiben übrig: null. Zwar beginnt der Abschnitt mit „Aus Untersuchungen mit Kindern liegen Hinweise vor, dass ein Vitamin D-Mangel bei makrobiotischer [!] Ernährung“, sodass der Leser weiß, dass die dann genannten Quellen keine Veganer betreffen. Jedoch endet der Absatz mit „Auch bei veganer [!] Ernährung mit begrenzter Lebensmittelauswahl und Ablehnung von Supplementen kam es bei Säuglingen und Kleinkindern zu Rachitis und Hypocalcämien“ und nennt drei Quellen, die immer noch keine Veganer betreffen.10 Würde man nicht annehmen, die DGE hätte sich an die Grundsätze wissenschaftlicher Redlichkeit gehalten, könnte man fast auf den Gedanken kommen, die irreführende Vermischung von Veganismus mit Ernährungslehren sollte durch die scheinbar bewusste Unterscheidung verschleiert werden.
Im zweiten Absatz wird dann darauf verwiesen, eine Vitamin-D-Supplementierung werde für alle Kinder im ersten Lebensjahr „unabhängig von der Art der Ernährung“ empfohlen. Zu berichtigen ist: Eine Vitamin-D-Supplementierung unabhängig der Ernährung gilt nicht nur für Kindern, sondern für alle Menschen (in Mitteleuropa). Denn bei einem Vergleich zwischen Omnivoren, Vegetariern und Veganern zeigte die Ernährung keinen signifikanten Einfluss auf den Vitamin-D-Spiegel (Chan et al. 2009). Zu wenig Vitamin D ist ein Problem für alle Menschen in unseren Breitengraden. Denn die Bildung in der Haut über die UV-B-Strahlung des Sonnenlichts ist die Hauptquelle. Die ist nur im Sommerhalbjahr verfügbar, doch selbst dann nehmen viele Menschen nicht genügend Sonnenlicht auf. Vitamin-D-Mangel ist also kein Problem der veganen Ernährung (und auch nicht des Alters).
Omega-3-Fettsäuren („Langkettige n-3 Fettsäuren“[sic])
Der Abschnitt zu Omega-3-Fettsäuren (das sind: ALA, EPA und DHA) ist der einzige, bei dem alle nicht-allgemeinen Quellen auf tatsächliche Veganer zurückgehen könnten. Ungünstigerweise muss dann ausgerechnet hier von der DGE festgestellt werden, dass Mangelsymptome nicht feststellbar sind.
Die Kernaussage lautet: Die Aufnahme und der Blutspiegel der Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA ist bei Veganern merklich niedriger als bei Omnivoren. Negative Auswirkungen dadurch konnten jedoch nicht beobachtet werden. Sanders/Reddy (1992, S76) schreiben z.B. (was die DGE jedoch erwartungsgemäß nicht zitiert): Trotz der niedrigeren Blutspiegel gibt es „keinen Hinweis darauf, dass neurale oder intellektuelle Funktionen [veganer Kinder] beeinträchtigt sind“ (wie bei einem Omega-3-Mangel im Wachstumsalter zu erwarten wäre).
Erneut muss gefragt werden, wieso hier ebenfalls relevante Studien nicht aufge-nommen wurden. Obwohl von Sanders zwei andere Studien herangezogen werden, wird eine neuere (Sanders 1999) ausgelassen. Darin wird erneut bestätigt, dass bei veganen Kindern trotz der geringeren Mengen von DHA im Blut keine Beeinträchtigung der neuronalen Entwicklung festgestellt werden kann. Oder die Studie von Magdalena et al. (2005), die auch im sonst sehr ausgiebig herangezogenen AJCN erschien. Hier wird festgestellt, dass erwachsene Veganer eine niedrige, aber (auch über lange Zeiträume) stabile Konzentration von EPA und DHA im Blut aufweisen, die Umwandlung aus der ausreichend aufgenommenen Omega-3-Fettsäure ALA also zumindest für die Vermeidung eines Mangels ausreicht.
Und erneut ist fraglich, ob Nicht-Veganer so sicher vor einer Omega-3-Unterversorgung sind. Die hier zierten Studien Koletzko et al. 2007 und 2008 empfehlen ein- bis zweimal die Woche eine Mahlzeit mit Seefischen. Wenige Menschen (in den deutschsprachigen Ländern) werden das tatsächlich umsetzen können und wollen. Zudem schwank der DHA-Gehalt bei Seefischen, eine wirklich sichere Versorgung ist ähnlich wie bei Jod unabhängig der Ernährungsform nur durch eine Supplementierung zu gewährleisten.
Für (vor allem schwangere und stillende) Veganer wie auch Nicht-Veganer gilt dennoch die hier genannte Empfehlung: Zur Sicherheit sollten täglich 200 mg DHA supplementiert werden. Zusätzliche Hinweise: Linolsäure (gehört zu den Omega-6-Fettsäuren) stört die Umwandlung von ALA in EPA und DHA, der Konsum von Linolsäure (v.a. Sonnenblumenöl) sollte daher reduziert werden. Dagegen sollte die ALA (Alpha-Linolensäure, eine Omega-3-Fettsäure) konsumiert werden als Ausgangsbasis für die Umwandlung zu EPA und DHA. Geeignet sind dafür vor allem Flachs- (bzw. Leinsamen-) und Rapsöl, da andere Öle ein ungünstiges Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren aufweisen.11
Fazit
Im „Fazit“ wird nun zusammengefasst, bei welchen Nährstoffen das „Risiko einer defizitären Zufuhr“ besteht. Hier hätte man getrost alle Nährstoffe, die es gibt, aufzählen können, denn ein (hier ja nicht näher benanntes) Risiko besteht immer. Dass die Wahrscheinlichkeit dafür umso größer ist, „je stärker die Lebensmittelauswahl eingeschränkt wird und je weniger abwechslungsreich die Ernährung ist“ ist völlig richtig. Bevor darauf jedoch abzuleiten ist, dass vegane Ernährung (hier plötzlich „rein pflanzliche Ernährung“) „nicht geeignet, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen“, hätte man sich auf Quellen stützen müssen, bei denen nicht die Hälfte eindeutig keine Veganer betrifft und von der verbliebenen Hälfte dies immer noch bei einem Großteil fraglich ist. Doch womöglich hätte man dann, wie die ADA, zum Schlussfolgerung kommen müssen, vegane Ernährung ist auch im Kindes- und Säuglingsalter praktikabel. Das sollte wohl vermieden werden.
Für schwangere und stillende Veganerinnen und vegane Kinder gilt trotzdem, die (auch für Nicht-Veganer geltenden) Supplementierungsempfehlungen umzusetzen, zusätzlich die für Vitamin B12, die DHA-Fettsäure und Zink. Zudem ist empfehlenswert, die Energiedichte der Nahrung zu steigern. Das ist möglich über die Verminderung von Nahrungsmitteln mit vielen Kohlenhydraten und/oder Ballaststoffen und die Steigerung von Nahrungsmitteln mit hohem Eiweiß- und/oder Fettgehalt.
Zusammenfassung
Das DGE-Positionspapier weist gravierende Mängel beim Nachweis der behaupteten Aussagen auf, die das formulierte Ergebnis grundsätzlich infrage stellen. Die wesentlichen dieser Mängel sind:
Weitere Links zum Thema
Einträge auf veganekinder.de in der Rubrik „Informationen“ u.a. zu den Themen: Auszug aus der ADA-Position, Bioverfügbarkeit, Eisen, Folsäure, Kalzium, Vitamin D, Vitamin B12, Zink. Sowie in der Rubrik „Fragen“ u.a. zu den Fragen »Ist es nicht schädlich, Kinder vegan zu ernähren?«, »Ist vegane Ernährung für Kinder gesund?«, »Worauf ist während der Schwangerschaft zu achten?« und »Worauf ist während der Stillzeit zu achten?«.
Der veganismus.de-FAQ-Eintrag „Aber die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) sagt …“
[Für Quellen und Fußnoten Eintrag vollständig anzeigen lassen:]