Saturday, August 5. 2006
Früher war alles anders: Bittere Augberginen
[Baden war] Brutstätte revolutionärer Ideen, Heimat so großer Radikaler wie Karl-Peter Heinzen und Gustav Struve. Über den Vegetarismus des Letzteren machte sich Alexander Herzen in seinen Memoiren lustig und zitierte ihn mit dem Satz: "Wissen Sie nicht, dass ein Mensch, der sich ausschließlich vegetarisch ernährt, seinen Leib in einem solchen Maße reinigt, dass er nach seinem Tode überhaupt nicht riecht?"
So schräg diese Begründung Struves ist, so beachtlich doch die Leistung, sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fleischlos zu ernähren. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schwer es 1988 im Sauerland war. Bittere Auberginen und Blicke wie Fleischermesser von Kellnern, die man um Gemüse bat, waren an der Tagesordnung.
Jens Friebe, "Inmitten begehbarer Musik vom eigenen Schoßhund zerfleischt", taz Berlin lokal vom 1. August 2006
Nicht nur die Bitterstoffe in Auberginen sind mittlerweile weggezüchtet. Die Redewendung "treulose Tomaten" stammt aus dem ersten Weltkrieg und bezeichnete (zunächst verbündete, dann abfallende) Italiener: in Deutschland gelang es nämlich erst später, Tomaten zu kultivieren. Was für Vegetarismus gilt, gilt in diesem Fall erst recht für Veganismus: all denjenigen, die heutzutage ernsthaft und realitätsverkennd jammern, es sei "schwer", vegan zu leben, wäre zu wünschen, sie würden einmal durch ein Zeitloch ein paar Jahrzehnte oder auch nur Jahre in die Vergangenheit fallen.
Während Hannibal noch Elefanten ausbeutete, um die Alpen zu überqueren, Kolumbus in seiner Jugend kein Kartoffelpüree aß und ich, als ich vegan wurde, zig Kilometer fahren mußte, um für sechs Mark eine Flasche Sojamilch zu bekommen, gibt es mittlerweile alle möglichen Sorten Pflanzenmilch an jeder Ecke, Tofu nicht nur im fernen Asien, Lopino im Supermarkt und selbst vegane Convenience-Produkte wie etwa Seitanwurst nicht nur in Spezialversänden für Nischenzielgruppen.